Die Frage nach dem, was der Mensch ist in einer Zeit "zwischen den
Katastrophen"
Zehn Jahre und vier Philosophen. Jeder für sich, jeder ganz eigene, jeder mit
seiner Herangehensweise. Und im Gesamten, in der Zusammenschau ergibt sich ein
"Gegeneinander", dass nicht nur der konkreten Zeit Sprengstoff auch in
der realen Welt zur Hand gab, sondern ganz grundsätzliches die Reibungen von
(genialen) "Ideen" vor Augen führt. Eine Spurenverfolgung, die
Ellenberger assoziativ und doch mit klarer Struktur angeht, die er dem Leser mit
biographischen Hinführungen, mit zentralen Aspekten des Denkens, mit Kernthesen
jener vier Männer nahebringt, die in bester Weise zumindest erläutern, was an
diesen Gedankengebäuden so über die Zeit herausragend "weltbewegend"
ist.
Martin Heidegger. Walter Benjamin. Ludwig Wittgenstein, Ernst Cassirer. Denker
über alle Grenzen hinaus und privat Persönlichkeiten, die mit eigenen
Dämonen, überraschenden Aktivitäten, verrückten Lieben zu tun, zu kämpfen,
zu leben hatten. Und zum Glück stimmt am Ende der Lektüre nicht, womit
Wittgenstein sein Rigorosum in Cambridge beendet: "Macht Euch nichts draus,
ich weiß, ihr werdet das nie verstehen". (und das aus dem Mund eines
Ex-Milliardärs, der zuvor jahrelang "nur" Grundschüler unterrichtet
hat)
Denn Ellenberger ist auch sprachlich in der Lage, die komplexe Gedankenwelt
jedes der "Zauberer" dem Leser verständlich zu erläutern (wofür es
allerdings eines gewissen Abstraktionsvermögens bedarf, denn den "festen
Boden" verlassen alle vier Philosophen in ihren kühnen Gedanken das ein
oder andere Mal durchaus. "Wie die Welt ist, ist für das Höhere
vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in die Welt. Die Welt ist
alles, was der Fall ist (Wittgenstein)).
Und auch gut ist, dass Ellenberger dem letzten Satz Wittgensteins in seinem
Rigorosum wenig folgt: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man
schweigen". Denn man kann in Worte fassen. Und sich dann allerdings daran
abarbeiten für lange Zeit, um auch nur den Hauch eines Verstehens zu erhaschen.
Wobei Heidegger in Wesen und Person an anderem Orte zur fast gleichen Zeit
anders auftritt. Eben auf "Auftritt" ausgerichtet. Sein "Erobern
des Gipfels" strategisch geplant, nichts dem Zufall überlassen wollen. Ein
Wille zur Macht und sozialen Dominanz, die im Werk abfärbt und Leben und Werk
miteinander mischt. Was Ellenberger differenziert dazustellen vermag.
Wie auch Cassirer und Walter Benjamin dem Leser auch "privat" eng
vertraut im Lauf der Lektüre werden und Ellenberger es versteht, Person und
Gedanken, Lebensstil und Wirken, Motivationen und Schwächen umfassend
darzustellen. Wobei sicherlich am Ende im Vordergrund steht, dass, bei aller
"Höhe" der Gedanken, die vier Philosophen eben doch konkret
zeitgebunden für eine Ära der vertanen humanistischen Chancen steht, für ein
Auseinanderdividieren, dass eine junge Demokratie scheitern lässt und die
politischen Spaltungen nicht zu vereinen versteht.
Weil eben der eine fest darauf beharrt, das "Höhere" gedanklich zu
erfassen (was auch politische Strömung werden wird), der andere fest darin
steht, dass eben nichts allgemeingültig ausgesagt werden kann. Oder eben
"ganz neu gedacht" werden muss und dafür das alte "aus dem Weg
geräumt" gehört. Oder vielleicht doch die menschliche Gesellschaft sich
selbst als Gesamtheit mal ausführlich "besinnen" solle. Und
vielleicht haben alle, je aus ihrer Sicht, recht? Zumindest wird klar, dass
Ideengebäude, die in sich geschlossen wirken, nicht der Weisheit letzter
Schluss sind, solange andere Ideengebäude in gleicher Festigkeit und ins ich
geschlossen als Gegenentwurf im Raume stehen. Jeder auf seine Weise mit
messbarer, klarer Wirkung, die zum Zerreißen der Welt an sich am Ende führt
oder, besser ausgedrückt, jenen Kräfte, die zum Zerreißen führten, je polig
eine je geniale Stimme verlieh.
Fazit
Sehr lesenswert als historische Schau, aber auch als Verweisung auf das
Grundproblem von in sich geschlossenen Überzeugungen, die auch in der Gegenwart
wieder teils unversöhnlich aufeinanderprallen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 02. Mai 2018 2018-05-02 10:04:59