"Wendepunkte" im Altern des Lebens
"Im letzten Urlaub ist mir das ganze Ausmaß überhaupt erst klar geworden.
Ich wollte etwas auf der Landkarte nachsehen und es regnete. Ich wurstle mit der
Brille herum, sie fällt mir aus der Hand, und ich stehe da und schaffe es
nicht, die Karte auszubreiten, die ich sowieso nicht hätte lesen
können".
Und da kommen sie ins Spiel. Die Jahre. Die Jugend gelebt, die erwachsenen
Jahre, Ehen, Kinder, Zitronenkuchen, absolviert. Die 50 plus minus im Raum.
Gleitsichtbrillen, die den Alltag plötzlich begleiten, graue Haare, eine
gewisse Melancholie, ein Ahnen der eigenen Vergänglichkeit, all das bricht in
verschiedenen Formen über die Protagonisten der neun Kurzgeschichten dieses
Bandes herein.
"Ende der Woche bin ich einfach zu müde zum Kochen. Anfang der Woche,
ehrlich gesagt, auch".
Diese Erschlaffung von Energie ist aber nur das eine, nur die Folge anderer
Veränderungen im Leben. Wenn die Liebe langsam zerfließt, wenn die Lust an den
Kindern, das Mutter-Sein, eher zur Erinnerung an alte Zeiten und wunderbare
Kuchen zum Geburtstag des Nachwuchses werden ("Du warst ein wundervolles,
ruhiges, aufgewecktes kleines Mädchen"). Wenn man merkt, dass die
technischen Entwicklungen, aber auch die gesellschaftlichen Haltungen und
Ausrichtungen sich mehr und mehr von alldem entfernen, durch das man selbst
geprägt worden ist.
Wobei es Helen Simpson durch ihren frischen und aufgeweckten Stil, keine
Schwermut in den Vordergrund der Atmosphäre der Lektüre zu legen. Sondern mit
Humor, leichter Verzweiflung, Selbstironie und schönen Gefühlen bei schönen
Erinnerungen den Leser auch unterhaltsam "bei der Stange hält". Im
Hintergrund aber, das ist deutlich zu spüren, steht sie schon, diese
Melancholie, dieser Rückblick auf Gelungenes, Haltendes und Misslungenes,
niederziehendes. Bis hin zur "Kommentierung" des eigenen, gelebten
Lebens auf der Blaupause von Richard Wagner in "Berlin", der letzten
Geschichte im Buch, in der Analogien sich verweben und Brüche zu Tage treten,
die einen wegtreiben würden. Aber angesichts all des Kittes im Leben, der einen
fest verfugt hat, wird auch dieses "Weg und anders wollen" sich
relativeren müssen.
Fazit
Eine Betrachtung über das Altern, die nicht mit dem moralischen Zeigefinger
kommt und nicht trübsinnig-schwer verdaulich vorliegt, in der Helen Simpson
aber all die wesentlichen Dinge von Erfahrungen, Gewinn und Verlust zur Sprache
bringt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. April 2018 2018-04-10 09:59:47