Alles ginge auch anders
"Die Illusion der homogenen Gesellschaft", so benennt Isolde Charim
ihren "Blick zurück" in die Zeit. In jene, gerade in der Gegenwart
wieder lautstark werdenden Vorstellungen von "klarer Welt" (nicht
unbedingt heiler Welt), in der durch eine vermeintliche Homogenität (meist
"von oben" verordnet und gesichert), der einzelne zumindest eine klar
vorgegebene "Identitätslinie" vorgelegt bekam. Da, wo
"Schwarze" als exotisch galten und nicht im Alltag begegneten, da, wo
andere religiöse Vorstellungen ein Nischendasein führten (wenn überhaupt) und
die eigene "Staatsordnung" als der Weisheit letzter Schluss und für
vernünftige Menschen als gar nicht anders möglich betrachtet werden
konnten.
Nun war diese Welt allerdings immer schon überaus vielfältig. Eigentlich kann
man formulieren, dass diese Vielfältigkeit "nur nicht weiter
auffiel". Was wiederum den Begriff der "Illusion einer homogenen
Gesellschaft" näher erläutert (neben den immer schon vorhandenen, nur
eher "unter dem Radar" sich befindenden nicht-homogenen Strukturen
weiterführt). Im Rahmen des "Versinkens" alter Welten (Charim nennt
konkret "die Welt ihrer Wiener Kindheit" und die "DDR"),
Ergebnisse schleichender, länger andauernder Prozesse, vor allem aber
angesichts einer globalisierten Welt, in der nicht nur "ähnliche"
Kulturen aus Nachbarländern miteinander in alltäglichen Kontakt treten,
sondern auch "fremde" Kulturen im geographischen Bereich dauerhaft
ansässig werden, entsteht eine "Pluralität" als
"Normalzustand". Mit Folgen für die Fragen der Identität der
Menschen in vielfacher Hinsicht.
Ein wichtiger Moment in der Überlegung, welchen Umgang man politisch und
persönlich mit dieser Pluralität findet, ist die Beobachtung Charims, dass, im
Rückblick, als "homogen" zu bezeichnende Gesellschaften nicht
"vom Himmel" gefallen waren, sondern ebenfalls zu ihren Zeiten, oft
unter massiver Einwirkung von Gewalt und Krieg, erst "hergestellt
wurden". Ein erster und wichtiger Anhaltspunkt, der wie ein Thema sich
durch die Kapitel des Werkes im Hintergrund zieht. Und der die Herausforderung
der Moderne benennt: Wie kann eine gewisse Homogenität in der vorliegenden,
realen Vielfalt von Traditionen, Kulturen und Lebensentwürfen hergestellt
werden, ohne zugleich repressive Maßnahmen oder gar Kriege in Kauf zu nehmen?
"Begegnungszonen", so könnte eine Ent-Emotionalisierung der Debatte
und der inneren Verunsicherungen angegangen werden. Eine "nüchterne
Verbindung" als Begegnungsraum für "Nicht-Ähnliche", in dem die
Unterschiede sorgsam nach und nach relativiert werden könnten.
Was dem entgegensteht, welche Begriffe in der aktuellen Diskussion vielleicht zu
unreflektiert als "Parolen" benutzt werden, wie sich Gesellschaften
früherer Zeiten entwickelten und dass dies alles immer mit den Fragen von
"Pluralität" und Identität verknüpft war, sowie der Frage, wie
individuelle "Andersartigkeiten" immer bereits vorhanden waren und
sich erst langsam Raum verschaffen konnten, das liest sich zwar politisch recht
einseitig ausgerichtet, in den Fakten und Überlegungen aber sehr interessant
mit dem Verweis auf eine technisch zunächst recht simpel erscheinende
Möglichkeit der "Annäherung durch Relativierung". Wobei durchaus
Konflikte nicht verleugnet werden, aber als "eingehegte Konflikte" in
anderer Form ausgetragen werden könnten.
Fazit
"Pluralisierung ist kein äußerliches Verhältnis. Ob man will oder nicht,
sie verändert alle – alte Einheimische und neue".
Besser wäre es allemal, diesen Pluralismus gestaltend anzugehen und nicht in
reinen Abwehrhaltungen oder übertriebener Euphorie alleine zu verbleiben.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 02. April 2018 2018-04-02 12:19:53