Vielfach verwoben
"Als er im Herbst 1999 mit der Fähre auf Porquerolles übersetzte, fühlte
er sich frei".
Was täuscht, und das wird bereits nach wenigen Seiten klar. Denn Maxim Diehl,
seines Zeichens Dramatiker, ist schon in gewisser Weise innerlich auf der
Flucht. Was das neue Theaterprojekt angeht, auf das sein Freund in Berlin
besteht, was eine gewisse "Schreibunlust" angeht, was das private
Leben angeht, was das Leben an sich angeht. Zur Ruhe kommen, sich Notizen
machen, es mit Schreiben versuchen, eine Biographie vielleicht.
Wobei, dem Leser wird es zu Anfang mit auf den Weg gegeben und am Ende des
Werkes darauf zurückgekommen, man sollte Plutarch gemäß zwei Biographien
erstehen und gegeneinander lesen, um dann eine Chance zu haben, der Wahrheit
objektiv und nicht subjektiv gefärbt näher zu kommen. Denn auch wenn es Maxim
Diehl nicht wirklich gelingen wird, seine Biographie zu schreiben, genügend
Notizen über sich, seine Familie wird der Roman am Ende schon enthalten, um als
eine Art Biographie gelten zu können. Auch wenn er sich sagt: "Er hatte
den Gedanken endgültig verworfen, mit der Begegnung seiner Eltern im
kriegszerstörten Deutschland anzufangen", er sagt sich dies selbst,
nachdem er diese Erinnerungen verfasst hat und der Leser diese gelesen hat.
Was schon eine gewisse Unruhe in die Lektüre bringt, die im weiteren Verlauf
durch eine zweite Biographie erweitert wird. Denn auf der Insel begegnet der
Schriftseller einem mysteriösen Amerikaner, der sehr geschickt darin ist, das
eigene Leben aus den Gesprächen herauszuhalten. Wohl aber im Lauf der Zeit
genügend Informationen preisgibt, um wieder ins kriegszerstörte Deutschland
gedanklich zurückzukehren, in dem jener Jack Quintin eine besondere Rolle
innehatte.
Mehr und mehr Parallelen von Ereignissen und Orten entdeckt Maxim Diehl, die
doch keinen Zufall darstellen können. Während der Leser ebenso mehr und mehr
den Eindruck erlangt, dass hier doch dem Schicksal arg "auf die
Sprünge" geholfen wird. Dann auch gerade das Ende mit seinen Auflösungen
(dass zudem noch eine dritte Erzählebene eines weiteren Biographen einfließen
lassen wird) wirkt zu gewollt, zu sehr mit Andeutungen von verbundenen
Lebensfäden versehen.
Was dann noch die Familie Diehls, Frau und Sohn, an eigenen Geschichten mit auf
die Insel bringen werden und wer jene "Viv" ist, der Diehl ungeordnet
Briefe zu schreiben scheint, das erschließt sich erst spät und dienst nicht
unbedingt der Klarheit der inneren Struktur des Romans. So dauert es, bis
deutlich wird, wer "Jakob Fünfer" sein könnte und was dieser mit all
dem zu tun hat. "Es gibt kein zurück. Wir müssen die Vergangenheit
abschütteln und uns den unerforschten Gebieten zuwenden, unserer Gegenwart,
unserem zerklüfteten Dasein".
Dies wiederum ist Goetsch gut gelungen, die "Zerklüftung"
darzustellen. Nicht nur im Jetzt der Gegenwart des Romans oder der späteren
Jahre gegen Ende des Buches, sondern auch der Zerklüftung in der Vergangenheit,
die auf die Gegenwart ausstrahlt und diese mitbestimmt. Wie ebenso die
Spannungskurve, die mehr und mehr auf eine Eruption hinarbeitet, dem Elser
emotional durchgehend vor Augen steht. Und doch am Ende überrascht in dem, wie
Diehl all dies zu Ende führt.
Fazit
Insgesamt aber ist es schwer, den roten Faden im Auge zu behalten und, entgegen
der Abneigung des Protagonisten gegen George Simenon (dessen Arbeitszimmer auf
der Insel zu besichtigen ist), hätte dessen traditionell einfache und klare
Schreibweise auch diesem Roman streckenweise besser zu Gesicht gestanden.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 28. März 2018 2018-03-28 11:19:49