Der Körper des alten Mannes ist so kaputt, als hätte er sein Leben lang auf
der Straße oder im Wald gelebt. Sein Lauschen auf Anzeichen eines Verfolgers
zwingt dazu, mit ihm zu atmen und zu hören. Hat er noch kurz vor seinem Tod
Wahnvorstellungen? Susanne will in einem Haustauschsystem Ruhe in einem
Wochenend-Haus bei Neubrandenburg finden – und steht unvorbereitet vor dem
Toten. Neben dem Mann liegt ein Käppie einer NVA-Uniform. Als Kommissar
Michael Herzberg am Tatort das Uniform-Käppie sieht, kann er sich nur mühsam
auf den Beinen halten. Die Ermittlungen zum Toten in der Datscha konfrontieren
Herzberg mit seiner eigenen DDR-Vergangenheit. Zur Zeit seines Studiums saß er
als Staatsfeind in Haft. Herzbergs Team ermittelt, dass der Grund der ehemaligen
"Bonzen"-Siedlung einmal einen Besitzer hatte, Grundig, der zu
DDR-Zeiten sein Land hastig in Wochenendgrundstücke unterteilte, um nicht
enteignet zu werden. Als sich herausstellt, dass der tote Hans Konrad Major der
DDR-Volksarmee war und für einen DDR-Rentner über ein bemerkenswert großes
Vermögen verfügte, wird in mehrere Richtungen ermittelt. Herzbergs Team kommt
einem bei der NVA vertuschten Skandal in einer konkreten Kaserne auf die Spur,
der aufgrund der NVA-Vergangenheit einiger Kollegen den Ermittlern tief an die
Substanz geht. Die von der Diktatur verordnete Selbstzensur lässt sich nach dem
Fall Konrad nicht länger aufrecht halten. Weitere Fäden führen zu korrupten
Strukturen, die wenigen Bürgern kurz nach der Wende die Taschen füllten.
Parallel dazu folgt Claudia Rikl dem persönlichen Trauma der Zeugin Susanne
Ludwig und der komplizierten Ehe Herzbergs mit einer behinderten Partnerin.
Fazit
Claudia Rikls komplexer, zeitgeschichtlich interessanter Plot wird gerade zur
rechten Zeit veröffentlicht; denn vergleichbare Ereignisse möchte die
Nach-Wende-Generation inzwischen am liebsten verdrängen. Herzbergs Team (mit
den Allerwelts-Namen Meier, Müller, Richter) wird so ausführlich und bildhaft
vorgestellt, dass mit einer Fortsetzung des Romans als Reihe zu rechnen ist. Das
Ausmaß an Psycho-Ballast, den Susanne und die Herzbergs zu schultern haben,
lässt den ohnehin komplizierten Fall überladen wirken. Den Stil empfand ich
als treffend für ein Szenario zwischen alter und neuer Prominenz des
DDR-Sozialismus; ein paar Straffungen würden dem Text guttun. Figurenzeichnung
und einzelne Details wirken teils überzeichnet. So muss ein Mobbingopfer nicht
durch eine besondere Persönlichkeit Mobbing herausfordern; gemobbt wird
bereits, wenn ein System dies zulässt. Als gelungenen Erstlingsroman empfehle
ich "Das Ende des Schweigens" gern weiter.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 18. März 2018 2018-03-18 08:04:35