Filou und Familie
Es ist die Zeit, in der "fremdländische Attraktivität " noch
Türöffner auf allen, vor allem den oberen Ebenen war. Mitte, Ende der 50er,
dann der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wobei der junge Perser,
der da zum Medizinstudium nach Deutschland kommt (eher aus Zufall), noch ein
ungebrochenes Schah-Regime zurücklässt und ob seines Aussehens, seiner
Risikobereitschaft, der Lust am Leben und den schönen Dingen (und Frauen) die
Herzen weitgehend im Sturm erobert.
Zunächst in Berlin, dann in Hamburg. Einer, klar, der zu Zeiten seinen "Ro
80" fuhr. Genau das Auto, das vermögende Menschen als Status Symbol ewig
juveniler Sportlichkeit bewegten. Menschen, die nicht "ganz oben" mit
schweren Karossen sich fahren ließen, sondern eben "gut dabei",
sportlich und lebenshungrig jeden Tag genossen. Einer, der im
"gereiften" Alter klagt: "Nach mir sehen sich mittlerweile nur
noch dreißigjährige um" - "Eigentlich ja nicht so schlecht für
einen fast 70jährigen" - Eine Antwort der Tochter im Auto, die den
jüngsten Sohn des Vaters, ihren Steifbruder, 12 Jahre alt, völlig verwirrt.
"Aber Papa ist doch nicht mal fünfzig".
Und das tragisch-lustige daran ist, dass die "neue Familie" und viele
der Kollegen und Bekannten, das tatsächlich unterstreichen würden. Weil der
Mann aussieht wie Anfang fünfzig, weil er nicht lügt, was sein Alter angeht,
sondern dies eben einfach nie erwähnt. Was wiederum fest zu seiner Sicht des
Lebens und der Inszenierung dessen gehört. Dass dabei die Ehe mit dem
"Mannequin" nicht hielt, die Familie auseinanderbrach (und nur einmal
noch für 14 Tage in der alten, persischen Heimat eher als
"Rollenspiel" zur "Aufführung" kam, das ist einfach nur
folgerichtig, liest man die Erinnerung Roshanis an ihre Eltern. Die nicht
spinnefeind wurden, sondern während der Ehe und darüber hinaus auch eine Art
"Komplizenschaft" in ihren je ganz anderen Herangehensweisen an das
Leben sich erhielten. So enthält das Buch dann auch, nach Setzung dieser
Themen, nicht nur Erinnerungen an eine andere Zeit oder die Aufarbeitung eines
Verhältnisses zu einem Vater, sondern Anoushka Roshani stellt auch dem Leser
einen Spiegel hin, wie sich selbst, wo jede Falte auch sie überrascht.
"Es muss mit meinem, nicht in gleichem Maße gealterten Selbstbild zu tun
haben, dass mich das bestürzt".
Wobei das nun nicht verwunderlich ist bei Eltern, die jeder für sich hochgradig
das Äußere als "gegeben schön" voraussetzten. So wie auch die
Geschichte Ihres Vaters, der in hohem Alter eine schwierige Diagnose erhält,
dann erst wirklich bricht. Ein Bild für Menschen, für eine Zeit, die innerlich
mit aller Kraft an vergehender Jugend und Kraft hängen und dabei die Gegenwart,
den Blick nach vorne, den verantwortlichen Umgang mit sich selbst und mit den
Ihren hintenanstellen. Sensibel, persönlich, schonungslos teils und doch mit
hoher Empathie erzählt Roshani das Leben ihrer Eltern, das Leben in einer
bestimmten Zeit und Stimmung und die eigenen Gedanken aus dem eigenen Erleben
der zerbrechenden Familie heraus, dass auch sprachlich so angelegt ist, dass es
nicht irgendwann langweilig wird.
Fazit
Sicher ein spezielles Thema mit einer speziellen Atmosphäre, das nicht jeden
Leser in gleicher Weise interessieren oder packen wird, aber eine gut
geschriebene Betrachtung von Entwicklungen aus konkreten Persönlichkeiten
heraus, die viel allgemein Bedenkenswertes in sich tragen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. März 2018 2018-03-07 11:10:28