Umbruch der Arbeitswelt
"Arbeit ist das halbe Leben", sagt man. Eine, zumindest in der Form,
erfrischend andere, dennoch wissenschaftlich fundierte und umfassend
recherchierte, Untersuchung zum allseits zu beobachtenden Umbruchprozess des
Arbeitslebens und der Arbeitsorganisation legen die Autoren, konzipiert als
Lesebuch, vor.
Gerade die Verbindung dieses gesellschaftlich grundlegend verändernden
Prozesses mit wissenschaftlicher Tiefe und, vor allem, Betrachtungen aus der
Sicht von Arbeitenden jeglicher Richtungen geben den gut 750 Seiten dieser
Untersuchung ihren besonderen Wert zur notwendigen Diskussion.
In der Regel treffen wir auf Geschichten von Menschen, die bereits eine lange
Zeit ihrer Tätigkeit nachgehen und somit über einen fundierten
Erfahrungsschatz ihre Arbeit betreffend einerseits verfügen, die aber zum
anderen auch über die genannte Zeitspanne den Veränderungsprozess ihres
konkreten Arbeitsfeldes aufmerksam und am eigenen Leibe miterlebt haben. Gegen
die Neigung zu generalisierenden Sichtweisen der Medien oder untersuchender
Wissenschaftszweige setzen die Autoren somit hier den Weg in die individuelle
Betrachtung und ziehen aus der Vielzahl individueller Lebensarbeitsgeschichten
vorsichtige, durch die Quantität und Qualität des umfassenden Materials aber
fundierte, Schlüsse.
Die bereits erprobte Methode des "verstehenden Interviews" zeigt hier
wiederum eindrücklich ihre aussagekräftigen Erfolge. In der kritischen
Objektivierung der mitgeteilten, subjektiven Lebensgeschichten erhalten die
Interviews nutzbaren Wert für die wissenschaftliche Betrachtung. Eine
Betrachtung, die nun endlich nicht nur Konzepte auf Leitungsebene benennt,
sondern die teils sperrige Realität der Arbeitenden in den Fokus rückt. Die
nämlich sind es letztendlich immer, die Ideen und Veränderungsprozesse
umzusetzen haben.
Jede der befragten Personen wird von den konkreten Interviewern in ihrem
Hintergrund vorgestellt, sodann folgt das Interview, je bestens zusammengefasst
in der Überschrift.
Ein vielfältiges Bild der modernen Arbeitswelt aus der Praxis heraus ergibt
sich aus den 37 Interviews. Von der Klage des Medienschaffenden über das nicht
mehr erkennen können, was man da eigentlich nur in Kleinteilen herstellt über
den Verlust allgemeingültiger Normen unter Rechtsanwälten, die pragmatische
Haltung von Saisonarbeitern in der Weinlese, die auch den Faktor einfach
beschäftigt zu sein in den Raum stellt, bis hin zu modernen Nomaden der
alltäglichen Arbeitswelt als freischaffende für verschiedene Auftraggeber und
die nüchterne Beobachtung der Betriebsärztin, dass die einen überlastet sind
von Arbeit und die andere gar keine mehr haben reicht der Bogen der
verschiedensten Personen und Arbeitsfelder.
In der Gesamtschau ergibt sich sodann, dass die Wandlung der Arbeitswelt nicht
in ein bis zwei Schlagworten zusammengefasst werden kann, sondern eine Vielzahl
von kleinen Stellschrauben bewegt, die alle zum Gesamtbild ihren Teil beitragen.
Dennoch, einen einfachen Nenner kann und wird es nicht geben, das ist eines der
wesentlichen Ergebnisse dieser Studie. Verbindend zwischen all den verschiedenen
Betrachtungsweisen steht allerdings die übergreifende Erfahrung einer starken
Verdichtung der Arbeit. Weniger Arbeiter müssen nicht nur das gleich kreieren
wie zu Zeiten höherer Beschäftigungszahlen, sondern auch mit den Steigerungen
der Produktivität weitgehend alleine zurecht kommen.
Diese Konzentration der Arbeit, die so irgend möglich auf Arbeitskräfte
zugunsten der Rendite verzichtet ist das verbindende Element zumindest des
Eindrucks sich vermindernder Qualität des Arbeitslebens und einer beginnenden,
starken inneren Distanz von der Erwerbstätigkeit durch die Arbeitenden.
Fazit
Ein fundiertes Lehrbuch der Gesellschaft, bestens geeignet für eine
weiterführende Betrachtung der evaluierten Ergebnisse. Für Arbeitgeber
interessant, hier sicherlich zumindest das ein oder andere Interview zu finden,
dass auch Grundzüge des eigenen Betriebes beschreibt, für
Sozialwissenschaftler anstrengend interessant, weil klar wird, dass einfache,
generalisierende Antworten schlechthin nicht möglich sind. Gerade die hohe
Differenzierung der Studie, die in der Auswertung im letzten Kapitel bestens
benannt wird, ist die große Stärke der Untersuchung. Leider sind die Hinweise
für eine konkrete Anregung zur Weiterarbeit mager, ein wenig mehr eines
Aufzeigens von Alternativen und Veränderungsmöglichkeiten wäre sinnvoll
gewesen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. September 2010 2010-09-24 16:50:40