Gibt es einen festen, roten Faden im Leben?
"Sie können mich fragen, was sie wollen. Nicht nur nach dem, was im Buch
steht, auch nach dem, was tatsächlich geschehen ist".
"Warum sollte ich. Sie haben ihr Leben und ich habe meins. Du ich habe
absolut nicht die Absicht, mir meines von ihnen erzählen zu lassen".
Was letztendlich doch geschehen wird in diesem nachdenklichen, neuen Werk von
Peter Stamm. Was zunächst nach Science Fiction klingt - dass man sich bei einer
Lesereise im Rahmen des einzigen Buches, das man je geschrieben hat, im
Heimatdorf "sich selbst" im Hotel begegnet - ist im Kern eine
existenzielle Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Dinge, Abläufe,
Ereignisse des Lebens "wahlfrei" im Raum stehen, oder einem
festgelegten Ablauf, zumindest Rhythmus folgen. Denn das Ich, dem der Autor
Christoph begegnet (oder meint, zu begegnen) ist ein jüngeres Ich. Eines, dass
"den Roman" und die Abläufe der engen Liebesbeziehung zur jungen
Magdalene noch vor sich hat.
Und inmitten der Phase, in der sein jüngeres Ich eben jenen Roman schreibt,
nimmt der ältere Christoph Kontakt zu Magdalene auf. Mit welcher Absicht, das
ist letztlich genau die Frage. Will er drohendes Unheil für sein jüngeres Ich
verhindern? Will er Magdalene für sich in der älteren Version
"hinüberziehen"? Interessiert ihn einfach die Frage, ob das
Schicksal, die Lebenslinie in verschiedenen Variationen vorliegt oder doch einem
immer gleichen Ablauf folgen wird? Und Unebenheiten? Dass er im früheren Leben
sich erst allmählich verliebt hat, Magdalena aber behauptet, "ihr
Christoph" hätte Liebe auf den ersten Blick gespürt? Dass das Thema des
Romans ein anderes zu sein scheint?
In ruhiger Form geht Peter Stamm diesen existenziellen Fragen nach. Lässt
mitklingen, ob im menschlichen Leben das Ende immer offen ist, ob Wahlfreiheit
herrscht oder die in der Kindheit geprägte Person wie auf Schienen ihren Weg
gehen wird, nur in der Illusion behaftet, Herr des eigenen Lebens zu sein.
"Die Geschichte, die ich ihm erzählt habe, geht nicht gut aus".
"Dann hat er sie eben geändert".
"Man kann einen Schluss nicht einfach so ändern".
Oder doch? Wobei es nicht um die wohlbekannten Fantasien über "eine zweite
Chance" im Buch geht, nicht darum, im Nachgang bestimmte Entscheidungen
anders getroffen zu haben. Peter Stamm bleibt konsequent beim Nachgehen der
verschiedenen Ich's und der Haltung des Christoph, der vielleicht sogar nur mit
aller Macht den gleichen Weg für sein jüngeres Ich erzwingen will, wie es ihm
selbst widerfahren ist. Doch, und das lässt Stamm an Ende als offene Frage
stehen nach all den vermeintlich so wichtigen Irrungen und Wirrungen des Lebens
des Autors im Buch, ist das alles überhaupt von Bedeutung?
"Wenn der alte Mann stirbt, wird alles in den Müllgeworfen, weil er keine
Angehörigen hat, oder weil niemand sich für seine Sachen interessiert…..ohne
eine Spur zu hinterlassen".
Fazit
Ein sprachlich differenziertes Werk, in manchen Passagen etwas langatmig, dass
am Ende die Frage nach der Wichtigkeit all der Wichtigkeiten stellt und im
Verlauf eine interessante Balance zwischen möglichen Variationen des einen
Lebens und einer ebenso denkbaren Eindimensionalität des Lebens
aufrechterhält.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. März 2018 2018-03-01 13:36:07