Felix und sein Vater stecken gemeinsam im Schlamassel, haben sich in ein
winziges Arbeiterhäuschen im überfrorenen Niemandsland irgendwo in Böhmen
abgesetzt. Ihre Unterkunft ist ein Weberhäuschen direkt an einer Straße;
Eisblumen wachsen an den Fenstern. Im Haus scheint es nicht viel mehr zu geben
als einen Manuskriptstapel, auf dessen Rückseite der Neunzehnjährige mit
Bleistift an seine Jugendfreundin Nina schreibt. Von einer dritten Person ist
zunächst unklar, welche Rolle sie spielt – sind Vater und Sohn von dem Mann
entführt worden, der sich so schwer beherrschen kann? Der Icherzähler Felix
zumindest fühlt sich wie ein Gefangener, er musste sein Handy abliefern –
und schreibt sein Leben nieder. Als die Eltern sich trennten, zog Felix' Mutter
mit ihm und seiner Schwester aus Berlin fort, der Kontakt zum Vater riss ab.
Schon Felix‘ Großeltern tourten als freiwillige Helfer durch Länder der
Dritten Welt und auch seine Mutter häuft erfolgreich Sozialprestige durch
Wohltätigkeit an. Alles Hassenswerte in Felix‘ derzeitigem Leben sieht er
vereint in seiner Schwester Laura, Einser-Abiturientin, Tierrechts-Aktivistin
und Jurastudentin in Berlin. Aus Rache an seiner komplizierten Familie ist Felix
zum Leser geworden; er gräbt sich durch die Bücherkisten seines
Professorenvaters, die seine Mutter aus Rache zurückbehielt. Felix Clique
sympathisiert mit Autonomen. Dass er als verwöhntes Bürgersöhnchen dadurch in
Schwierigkeiten gerät, wundert nicht.
Die zweite Erzählerstimme gehört Vater Marek, einem Berliner Akademiker in
Warteschleife, dessen Bewerbungen auf diverse Professuren stets erfolglos
blieben. Genderdiskussion und Post-Irgendwas laufen an Marek vorbei, er steckt
noch immer fest in seinem Thema DDR-Lyrik. Marek schreibt für Felix. Aufgrund
seiner DDR-Sozialisierung pflegt Marek ein spezielles Verhältnis zu Behörden,
die Bürger früher zur Klärung von "Sachverhalten" herbeizitierten.
Beim Sachverhalt, der Marek offenbar in den derzeitigen Schlamassel gebracht
hat, handelt es sich um die Töchter seiner Lebensgefährtin Adriana, für die
sich das Jugendamt interessiert und deren Existenz Adriana streckenweise zu
vergessen scheint.
Mit Fokus auf Veit Stark, Mareks ehemaligem Lieblingsstudenten aus Cottbus,
kommt eine weitere Person ins Spiel. Veits Eltern im tiefen Osten haben unter
allen nervigen Begleiterscheinungen der Wiedervereinigung zu leiden und
verwahrlosen aus seiner Sicht seit der Wende zusehends. Cottbuss als
Parallelgesellschaft Ost mit No-Go-Areas, dem Sumpf von veralteten
Melderegistern und Menschen, die untertauchen, scheint mitten aus einem
postapokalyptischen Roman zu stammen. Doch was hier wie postapokalyptischer
Zerfall wirkt, ist für Rettungskräfte und Bahnangestellte auch im Westen
inzwischen längst Realität geworden. Dass Veit dort mit einer
afroamerikanischen, gendersensiblen Studentin auftaucht, lässt Schlimmes
befürchten. Veits politische Aktivitäten scheinen einen Bogen zu schlagen zu
Felix hochbrisanten Jugendstreichen.
Fazit
Drei Männer im Nirgendwo im Kampf gegen verhasste Behörden könnte man das
Ganze nennen. Kubiczek kombiniert Postapokalypse, Road-Movie und Spurensuche
seiner Figuren in Deutschlands fernem Osten zu einem anfangs verwirrenden
Stück mit drei Hauptfiguren. Darin spöttelt er über Politkasten, die wie zu
DDR-Zeiten abgehoben in Gated Communities leben, Selbstbespiegelung im
Genderwahn und den neuen Mann. Mit Campen am Stausee in Spremberg sorgt der
Autor für eine Prise Ost-Nostalgie. Felix‘ Manuskript schließlich mit
seinen durchgestrichenen Passagen stellt die Einschätzung des Romans noch
einmal auf den Kopf: Auf eine spontane Version, über deren Wirkung auf Nina
Felix offenbar erst im Schreibprozess nachdenkt, folgt an einigen Stellen ein
zweiter, geglätteter Absatz, der das Gegenteil des ersten behaupten kann. So
entstehen Schwarz und Weiß, Wunsch und Wirklichkeit, zwei Hälften eines
Ganzen. Fantastik, Postapokalypse? – ganz wie Sie wollen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 21. Februar 2018 2018-02-21 09:16:23