Soll ich das Buch nun als "ungewöhnliches" Tagebuch titulieren?
Welches Attribut soll ich ihm geben? Es ist ein Tagebuch, ja. Es ist auch eine
Reisebeschreibung, ja. Aber wie man es auch nennt, es lässt sich angenehm
flüssig lesen und ist extrem unterhaltsam. Drei Monate, 87 Tage in New York,
die der Autor beschreibt. Oft auf sehr humorvolle und abgehakte Art. Letzteres
gehört zu einem Tagebuch, welches quasi stenografiert ist. Doch Raab hat
gewisse Noten gesetzt, die es zu einem besonderen Tagebuch werden lassen.
Ungewöhnlich schreibt er in der ersten und zweiten Person abwechselnd. Es kommt
klar zum Ausdruck, dass er auf der Reise nicht allein ist, sondern seine
Freundin oft, aber nicht immer, dabei hat. So schreibt er vieles in der
Ich-Form, stellt sich aber auch immer wieder vor, was sie in der einen oder
anderen Situation gemacht oder gedacht hatte. Vieles liest er ihr dabei vom
Gesicht ab. So wird aus dem Tagebuch ein Dialog, der immer wieder für
Abwechslung sorgt. Das klingt dann in einer Bemerkung über die Nachbarin so:
"Heute Morgen hast du dich bei Courtney beschwert, weil sie zum
wiederholten Mal bis weit nach Mitternacht laut Musik gehört hat. "Wir
konnten alles mithören! Wir haben dir doch gesagt, dass das Haus sehr
hellhörig ist! Stupid bitch." Um eine Eskalation dieser Art zu vermeiden,
hab ich dich gebeten, mit ihr Tacheles zu reden." Eine andere Note des
Autors sind an nahezu jedem Abend die "Lessons learned", die Lektionen
bzw. Vokabeln, die er an diesem Tag hinzugelernt hatte. Teilweise sind es
Abkürzungen und Vokabeln der amerikanischen Sprache, die so nicht im
Schulenglisch vorkommen.
Immer wieder bringt der Autor kopfschüttelnd (Man sieht ihm dies wahrlich beim
Lesen seines Buches an.) sein Unverständnis über die "verrückten"
New Yorker zum Ausdruck. Wie sie seine Wünsche im Restaurant oder beim Friseur
ignorieren und ihm dann den vollen Preis dafür berechnen, obwohl er es so gar
nicht bestellt hatte. Die angemietete Wohnung ist von Anbeginn nicht sehr leise,
doch dass er sich gelegentlich in dem ohnehin sehr lauten New York der relativen
Stille wegen auf das gewisse Örtchen zur Erholung begibt, obwohl seine Freundin
draußen an der Tür wartet, war ihm vor der Reise auch nicht klar gewesen. Der
Autor hat diese Stadt als Megacity wahrgenommen und das kommt in seinen Texten
auch zum Ausdruck. Beispielsweise sind er oder seine Freundin oder beide
ständig in irgendwelchen U-Bahnen oder Bussen oder Zügen unterwegs. Immer auf
Achse, weil so gut wie kaum irgendetwas "um die Ecke" liegt. Selbst,
wenn es "einen Block" weit entfernt ist, lohnt sich der Gang zur
Metro. Die vielen englischen Passagen und Floskeln, der Vergleich der Realität
mit Beschreibungen von Max Frisch und Allen Ginsberg runden dieses quirlige
Tagebuch ab und machen es zu einem kleinen Erlebnis.
Fazit
Wer New York kennenlernen möchte, macht bei diesem Buch nichts falsch. Wer sich
auf eine Reise dorthin vorbereiten möchte, der liegt zu hundert Prozent
richtig.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
[Profil]
veröffentlicht am 09. Dezember 2011 2011-12-09 18:51:49