Tiefer Blick hinter die Türen von Wohnungen und Seelen
Munter von der Seele plaudernd, so beginnt in der ersten der verschiedenen
Geschichten über die Bewohner eines Hauses Amon zu erzählen. Seinem Freund.
Und klar, dass der Mann sich von der Seele reden möchte, wie kompliziert das
heimische Leben im Bett mit seiner Frau nach der Geburt der zweiten Tochter
geworden ist - obwohl im älteren Ehepaar im gleichen Haus ein Schatz an
Babysitting vorhanden ist. Leute, die noch nicht mal nach Geld fragen, trotz der
vereinbarten 20 Schekel.
"Ein Segen ist Ori für uns", so erklärt es die ältere Dame, deren
Enkel und Kinder verstreut in der Welt leben und nur ab und an in Israel
vorbeischauen. Ein Segen, weil ihr Mann mehr und mehr leichte
"Aussetzer" zeigt. Ein allgemein anregendes Arrangement, könnte man
meinen. Wenn da nicht Eshkol Nevor mit Hintersinn erzählen würde und, entgegen
des lockeren Plaudertons, immer wieder ziemliche Schwinger in den Magen mit
einbauen würde. Was zum einen das stetig sich verschlechternde Verhältnis der
Eheleute angeht. Was deren jüngste Tochter, kränklich angeht. Was diesen
enormen, kaum zu beherrschenden erotischen Trieb in Amos angeht, den dieser zwar
mit Augenzwinkern schildert, der aber im Lauf der Seiten den Leser unangenehm in
seiner Zwanghaftigkeit berührt.
Aber ist da nicht auch noch der senile, dement werdende Herrmann, der von Ori
mehr und mehr "Küsschen" fordert, selbst wenn man sich nur im
Vorbeigehen trifft? Und hat er nicht die Hände merkwürdig hoch auf den
Schenkeln des kleinen Mädchens, wenn er sie sich auf den Schoß setzt? Als
zudem noch die Enkelin des Paares aus Paris eintrifft, Teenager, jung, mit einem
Minirock, der eher als Bikini durchgehen würde, da beginnt alles, bedrängend,
beängstigend, spannend zu werden. Was auch an der wahren Schreibkunst Nevo's
natürlich liegt, all die inneren Vorgänge und düsteren Ahnungen mit sehr
großem Wortschatz und legerem Tempo dem Leser näher und näher an die Emotion
kommen lässt.
So dass man doch ziemlich geschafft ist nach dieser ersten Episode der so ganz
äußerlich harmlos, freundlich und "normal" wirkenden Bewohner des
Mietshauses. Und das noch bevor die anderen "Wohnungen" betreten
werden, hinter deren Fassaden ähnliche bedrängende, unvermutete
Persönlichkeiten hinter der biederen Oberfläche "vor sich hin
toben". Ob in einer Plantage in der Außenwelt oder im eigenen Bett in
aufgewühlter Innenwelt im Zweigespräch mit dem längst verstorbenen Ehemann,
ob unschuldige Kinder oder gar nicht unschuldige mittelalte und alte Menschen.
Innere, lodernde Emotionen, die auch in der Außenwelt für Veränderungen,
Bedrängungen, Geheimnisse, böses Erleben sorgen werden.
Fazit
Glänzend erzählt betritt Nevo mit sprachlich scheinbar leichter Hand die
"Welt hinter den Türen" und zieht den Leser weiter und weiter in den
Bann all dessen, was hinter der schmalen Tünche zivilisierten Verhaltens und
Umgang miteinander Erschreckendes, einsames, bedrängendes zu finden sein kann.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 26. Januar 2018 2018-01-26 15:47:47