Positive Folgen der Revolutionen in Frankreich und Amerika
Die Demokratie als politisches System steht unter Druck. Weltweit. So
konstatiert Rosanvallon in seiner Einleitung zunächst und gibt damit eine
durchaus nachvollziehbare Interpretation der politischen Fakten der Gegenwart.
Wobei, und hier kündigt sich bereits eine Grundreibung des Werkes an, dies
zugleich auch als fast Erfüllung demokratischer Grundideen verstanden werden
kann, denn die Menschen mischen sich deutlich mehr ein, sind deutlich
"erhitzter", als in den "ruhigen Zeiten" der Demokratie bis
in die Gegenwart hinein.
"Sie begnügen sich nicht mehr damit, sich von zeit zu Zeit über den Umweg
der Wahlurnen ihrer Stimme Gehör zu verschaffen".
Wobei eben auch gilt: "Doch dieses politische Kollektiv…..bildet
gesellschaftlich gesehen weniger denn je eine Einheit".
Und die Ursache für dieses zunehmende Divergieren in der Haltung der Menschen
und in den Gesellschaften selbst macht Rosanvoallon als These zunächst (und
dann im Werk fundiert argumentiert) in der zunehmenden "Ungleichheit"
aus, die "zugleich Indikator und treibende Kraft dieser Entwicklung
ist". Wie überhaupt diese Idee der Gleichheit von Menschen in der
Geschichte Fuß fasste, wie sich dieses konkret im Wohlfahrtshandeln eines
"Sozialstaates" dann niederschlug und warum dies aktuell in Gefahr und
Bedrängung gerät (mit unberechenbaren Folgen für die gesamte Menschheit, vor
allem aber für den Kern Europas), das legt Rosanvallon luzide formuliert,
prägnant in den Argumenten und Thesen und überzeugend in der (versuchten)
Synthese eines "Entwurfes zur Gesellschaft der Gleichen" am Ende des
Werkes vor.
Wobei im Gesamten fast ein "Fanal für die Gesellschaft der Gleichen in der
Form demokratischer Verfassungen" im Buch formuliert wird, dass dem Leser
durch seine vielfachen Elemente den Wert dieser Idee und der (immer mit Mängeln
behafteten) geschichtlichen Umsetzung bis in die Gegenwart hinein vor Augen
geführt wird. Dabei wendet sich Rosanvallon mit offenen Augen vehement gegen
die Tendenzen zum Protektionismus und einem "neuen nationalstaatlichen
Denken". Ziel und Grundlage zugleich seiner Schlüsse aus der historischen
Entwicklung heraus ist dabei eine zwar auf Nationen ausgerichtete, aber im
Denken "nichtnationalistische" Haltung, die immer wieder die gewonnene
"Fürchte" eines "sozialen Kapitalismus" über sich selbst
hinauszudenken und damit sozialen Fortschritt immer wieder auf den Weg zu
bringen hat.
Hier entfaltet Rosanvallon gerade im letzten Teil des Werkes (oder, anders
ausgedrückt, je mehr er sich der Gegenwart und einer, in seinen Augen,
notwendigen Ausrichtung auf die Zukunft nähert) eine Vielfalt von historisch
abgeleiteten Ideen und Programmen, die zwar hier und da ein wenig ins Abstrakte
abgleiten, dennoch aber für den Leser ein Füllhorn von Ideen auf der Basis
eines gut dargestellten historischen Gerüstes bieten.
Wie immer man auch im einzelnen zur formalen Vorgehensweise Rosanvallons stehen
mag und ob man nun jede seiner Thesen zu teilen gedenkt, in der schonungslosen
Analyse der aktuell sich zerfaserten Gesellschaften, der immer stärkeren
Vormacht der "Raubtierkapitalismus" und der damit einhergehenden
Spannung durch wachsende Ungleichheit liegen vielfache Gedanken für den Leser
bereit, in einen differenzierten Diskurs einzutreten. Wenn traditionelle
politische Parteien und Kräfte quasi "pulverisiert" werden (wie in
Frankreich) und dies in höherem Maße "Sozialisten" trifft denn
konservative Kräfte, dann zeigt sich, dass ein zu kurzer Blick auf die Ursachen
und ein ebenso zu kurzer Blick "nach vorne" zur Aufarbeitung intern
wie extern nicht ausreichen wird.
Fazit
Eine anregende und wichtige Lektüre, die sicherlich ihre Schwächen in einem
verengten Blick in sich trägt, die aber eine klare, geschichtliche Analyse und
einen offenen und mutigen Blick auf die Probleme der "Gleichheit"
bietet und damit eines auf keinen Fall vollzieht: Die Gefahren der nahen Zukunft
für eine "Gesellschaft der Gleichen" und einen "sozialen
Staat" zu unterschätzen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 27. November 2017 2017-11-27 09:17:14