Eher psychologisches Puzzle denn Kriminalroman
Das Sakari durch Wände gehen könnte, meint dieser vielleicht sogar von sich
selbst, denn als "Engel" (für den er sich hält in seiner
"Ein-Personen-Wolken-WG") dürfte das ja nicht schwierig sein (vor
allem, wenn er selbst im Kopf denkt: "Nicht die Türen sind das Problem
gewesen, sondern er selbst"). Doch zunächst entkleidet sich jener Sakari
auf offener Straße und steigt, mit einem Messer in der Hand, in einen Brunnen.
Und nimmt Blickkontakt auf zu einem kleinen Jungen, der dort Eis ist. Dessen
Schwester etwas schreckliches Geschehen ist. Dessen kleiner Bruder gerade
Schwimmen lernt. Dessen Mutter vor einem Net-Profil immer wieder die Bilder
ihrer Tochter ansieht. Dessen Vater irgendwo ist. Sich mal hier und da meldet,
aber lange wenig greifbar bleibt.
Der Leser sollte also diesen David im Auge behalten, auch wenn zunächst der
Fokus auf Sakari mit seinem Messer und auf Petri, den Polizisten mit der
Pistole, gerichtet bleibt. Einige Augenblicke später fließt Blut und selbst
der Schütze weiß nicht, was genau da passiert ist. Auch wenn es einen
Handyfilm gibt, was innen in ihm geschah, das fasst er nicht genau. Gut, dass er
mit dem Ermittler Kimmo Joentaa bekannt, befreundet ist. Auch wenn dieser mit
seiner Tochter Urlaubstage genießt, eigentlich den Mond vermessen sollte, Kimmo
macht sich auf, den Hintergrund des "Engels" näher zu beleuchten und
stößt in ein ganzes Netzwerk voller Möglichkeiten und Verbindungen, die erst
ganz langsam ans Tageslicht treten werden.
Wie in einem Film "schneidet" Wagner dabei in der Form von "Szene
zu Szene", erzählt immer versatzweise aus der Perspektive aller
Beteiligter (und aus manchen anderen, deren Beteiligung lange nicht auf der Hand
liegt). Das ergibt einerseits ein gewisses Tempo, führt den Leser aber
andererseits zu so vielen subjektiv betrachteten Fäden der Geschichte, dass
zwischendurch heillose Verwirrung nicht ausbleibt. Dennoch gelingt es Wagner
damit durchaus, zwei Kernelemente seiner Art des Schreibens und der Darstellung
"an den Mann" zu bringen.
Zum einen erlebt der Leser quasi die Personen aus der "Innensicht"
zeitgleich. Den auf der Couch ermattet vor sich hindösenden Petri, die
Lebensfreude von Kimmos Tochter mit ihren Freundinnen, das fast schon
"erwachsen werden müssen" des kleinen David angesichts der
familiären Situation und des Zustandes der Mutter, die einzelnen Schritte von
Kimmos Ermittlungen.
Und andererseits zieht Wagner den Leser durch diese Technik und die sehr feine,
differenzierte Sprache mitten hinein in dieses Beziehungsnetz. Wobei es dauern
wird, bis sich, bildlich gesprochen, ein kleiner Hügel formen kann, von dem aus
man als Leser einen besseren Überblick über das vermeintlich eher chaotische
System der Zusammenhänge ergibt. Spannung taucht dabei kaum auf, eher ist das
Buch als eine Metapher zu begreifen, wie fragil das Leben an sich ist (was als
Thema bei Wagner auch in anderen Kimmo Joentaa Fällen auftauchte) und was am
Ende einem im Strudel losgetretener Ereignisse vielleicht Halt geben könnte.
Fazit
Tief ausgelotet und sprachlich fein gezeichnet nimmt die Geschichte den Elser
durchaus gefangen, wobei die Form der überschnellen Wechsel der Perspektiven
und die eher sehr ruhige Form des Erzählens auch Längen und eine gewisse
Anstrengung der Lektüre mit sich bringen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 27. November 2017 2017-11-27 08:39:49