Jhumpa Lahiri ist als Kind bengalischer Einwanderer in England geboren und in
Rhode Island/USA aufgewachsen. Sie konnte ihre Muttersprache Bengali nicht
lesen und schreiben, studierte in den USA und promovierte in Literatur mit einem
Thema mit Italien-Bezug. Eine Reise nach Florenz markierte den Beginn von
Lahiris Beziehung zum Italienischen, die zu einem längeren Italienaufenthalt
führte und zur Veröffentlichung in italienischer Sprache.
"Mit anderen Worten" ist ein faszinierender biografischer Text zum
Spracherwerb. Er beginnt mit dem Zustand des sprachlichen Exils; denn Lahiri
konnte in den USA keine Bücher in Bengali finden, der Sprache, die in der
Familie gesprochen wurde. In der italienischen Sprache fühlte Lahiri sich lange
als Nichtschwimmerin, weil sie nicht in ihr lebte, keinen Bezug zu ihrem Leben
in den USA herstellen konnte. Um das Schreiben in der fremden Sprache und ihre
Identität als Autorin kreisen nun ihre Gedanken. Schließlich vermittelt das
Eintauchen in die kleinteilige Geografie der Stadt Venedig Lahiri den Zugang zur
Sprache. In Venedig platzt förmlich der Knoten. Indem sie sich Zugang zum
Italienischen in Wort und Schrift erkämpft, erarbeitet Lahiri sich eine
Beziehung zu ihren beiden unvollkommenen Sprachen, Bengali, das sie nicht lesen
kann, und Englisch als Stiefmutter-Sprache, das sie als Autorin weltbekannt
machte. Nun kann sie die Trauer ihrer Eltern begreifen um die verlorene
Muttersprache Bengali. Verbunden mit Lahiris Eintauchen ins Italienische ist
die deprimierende Erkenntnis, dass sie selbst als Autorin, die ein Buch in
italienischer Sprache verfasst hat, im Land fremd wirkt und als fremd erlebt
wird. Sie wird immer gefragt werden, woher sie kommt, nicht aber ihr
südeuropäisch aussehender Mann, der nur gebrochen Italienisch spricht.
Der hohe Anspruch, italienische Texte zu verfassen, frustriert die erfolgreiche
Autorin zunächst. Mit "Die Verwechslung" entsteht die Geschichte (im
Buch enthalten) einer Übersetzerin, die alles weggibt, um in einer Stadt
Menschen zu beobachten, in der sie die Sprache nicht versteht. Als ihre Jacke
vertauscht wird, erlebt sie sich in einer fremden Jacke als eine andere Person.
Fazit
Jhumpa Lahiri verkörpert die erste Generation von Einwanderer-Kindern in die
USA, die sich ihren Zugang zur neuen Sprache selbst erkämpfen mussten in einer
Kultur, in der Menschen außerhalb der Einwanderer-Communities selten
Fremdsprachen sprechen. Zum Thema Spracherwerb und Mehrsprachigkeit legt sie
hier einen faszinierenden, sehr persönlichen Text vor, der anregt, sich noch
einmal mit ihrem Werk auseinanderzusetzen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 20. November 2017 2017-11-20 12:17:25