Zwischen den Welten
"In diesem düstersten aller Aprilmonate hatte der General, der auf die
Frage, was zu tun sein, sonst immer etwas zu tun fand, keine Antwort
mehr".
Außer, dass alle, die in die Transportmaschine (eine der letzten, die Saigon
verließ) hineinpassten (und die natürlich genehm und wichtig waren),
ausgeflogen werden sollten. Ins "gelobte Land", nach Amerika. Und auch
wenn der Ich-Erzähler kein besonders ranghoher Offizier war und zudem ein
"Mischling", ob seiner beratenden Nähe zum General und ob seiner
besten Verbindungen in alle notwendigen Kanäle hinein (Offiziere werden
bestochen, Amerikaner mögen den Mann, der General will ihn dabeihaben), reist
auch eher nach Amerika.
Wobei, das weiß nun keiner der Offiziellen, sondern nur der beste Freund und
"die andere Seite", der Adjutant ist ein Spion. Für den
kommunistischen Teil Vietnams. Schon lange. Und das passt ganz gut, dass er nun
"an der Quelle", zumindest inmitten "des Feindes" lebt.
Wobei auch "die andere Seite" sich der Dienste des Mannes versichert
und nun, als Doppelagent, mit einem Fuß dienstlich und praktisch in beiden
Welten verankert, ergibt sich eine ganz besondere, "interne" Sicht der
Gemengelage, die Nguyen trefflich ausformuliert.
Was nicht ohne Gefahren für die strikte Linie der inneren Haltung sein wird.
Denn mit wachen und offenen Augen, einer gehörigen Portion Ironie und einem
geschulten Blick für das Wesentliche wird dieser Adjutant zwar die bizarren
Auswüchse "dekadenten" westlichen Lebens genau vermessen, aber auch
die andere Seite, die "freie" und konstruktive Seite eines Lebens ohne
Diktatur wird ihren Einfluss auf den Mann nehmen.
Mit Rückblicken in die Vergangenheit des Spions, mit einem tiefen Verstehen auf
Seiten des Lesers führt Ngyuen den Leser in munterer, hintersinnig-humorvoller
und sein "Personal" lebendig und bestens beschreibend durch die Zeit
der späten 70er und der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. In vielen
Beobachtungen, spielerisch eingebauten gesellschaftskritischen Analysen und
immer wieder absurden Begegnungen und Beobachtungen hält Nguyen damit der Welt
(nicht nur der Westlichen, im Übrigen) einen breiten Spiegel vor.
Ein Spiel mit Vielfalt, mal plakativ, mal hintergründig angelegt, bei denen der
Leser von Beginn an weiß, dass dieses für den Agenten weitgehend beendet ist.
In einer Zelle wartet er und nutzt die Zeit, sein Buch zu schreiben und
zurückzublicken. Man würde es diesem modernen, wendigen
"Alleskönner" nun gerne wünschen, dass sich auch diese Gefahr in der
Zelle noch einmal abwenden lässt, aber bis zum Ende hin ist und bleibt der
Tonfall hier eindeutig. Hoffnung treibt den ehemaligen Adjutanten nicht mehr an.
Nur Mitteilen, das ist ihm noch wichtig.
Und damit dem Leser eine Sicht auf Vietnam, den Krieg und die Folgen zu bieten,
die eben nicht "a la Hollywood" oder von großen amerikanischen
Autoren diese eher einseitige Sicht transportiert, sondern aus der anderen
Richtung, der des "Siegers", Gräuel und Absurditäten des
Vietnamkrieges und seiner eher eigenwilligen Aufarbeitung in Amerika minutiös
"auseinanderbaut". Und dabei keinen Finger moralisch erhebt oder
trocken Fakten begradigt, sondern die Handlungen, Ereignisse, Beobachtungen,
Szenen aus sich heraus sprechen lässt.
Fazit
Thema, Ton, Personen und die differenzierten Blickrichtungen samt vielfach
bestens geschilderter Szenen bilden eine perfekte Mischung aus Roman, Thriller
und Erkenntnis-Buch, was den Menschen und sein Leben in Gesellschaften angeht.
Wärmstens zu empfehlen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. Oktober 2017 2017-10-01 12:14:27