Ein Blick in eine mögliche, nahe Zukunft im Gewand eines (ruhigen)
Kriminalromans
Mit immer wieder "Schweizer Spezial-Ausdrücken" und bildreich
geschilderten Szenen in Straßen, Häusern, kleinen und großen Ortschaften bis
hin zur Fahrt mit Tram und Taxi gelingt es Lewinsky von Beginn an spielerisch
leicht, den Leser mitten hinein in diese Schweizer Welt zu ziehen. Zudem,
zunächst noch eher überlesen, dann ein wenig irritierend, bis man es
vollständig verstanden hat (selbstfahrende Trams und Autos), entpuppt sich das
zunächst gemächliche "Pensionärs-Leben" des ehemaligen Journalisten
Kurt Weilemann als ein stückweit in die nähere Zukunft gesetzt.
Dem nicht nur die veränderten Alltagsbedingungen eine besondere Farbe
verleihen, sondern die letztendlich das gesamte Gerüst und den Kern des Romans
ausmachen werden. Denn wenn sich Weilemann mit einem alten
"Konkurrenten" verabredet, dieser scheinbar sinnloses Zeug vor sich
hin brabbelt und knapp 45 Minuten später tot ist (Selbstmord nach offizieller
Lesart). Wenn dieser "Konkurrent" mithilfe einer bezaubernden, jungen
Frau und einer irritierenden Fotografie auf einen Kriminalfall von größter
Tragweite verweist und wenn dann auch noch klar wird, dass genau jene
nationalistischen Strömungen in der Schweiz seit zig Jahren an die Macht
gelangt sind, die aktuell weltweit "wiederauferstehen", dann erst
beginnt sich beim Leser mehr und mehr Beklemmung einzuschleichen.
Die bis zum Ende des Romans nicht enden wird. Seien es rechte Kräfte in
Frankreich, in Deutschland, sei es die Linie von Erdogan in der Türkei, all
dies setzt Lewinsky in ruhigem Erzählfluss zu einem Gesamtbild zusammen, dass
sich Seite für Seite mehr als nurmehr eine Fratze von Demokratie darstellt. Und
dabei nicht stehenbleibend schaut Lewinsky allen Protagonisten zumindest ein
stückweit in die "völkische Seele" und lässt den Leser immer wieder
in die naiven Fallen tappen. "Vollsühne". Aha. Klingt ja eher
possierlich, bis man weiß, was damit gemeint ist.
Und ein Ordnungsamt, das hat doch jede Kommune, jede Verwaltung. Wohl aber nicht
so eines, in dem Weilemanns Sohn (mit dem er ein sehr angespanntes Verhältnis
pflegt) einen hohen Rang bekleidet. Und auch mancher
"Billett-Kontrolleur" in der Bahn weckt im Nachgang ungute
Erinnerungen aus dem Geschichtsunterricht aus den Zeiten vor 1945. Diese Welt
setzt Lewinsky in eleganter Sprache bestechend in Szene. Was allerdings in der
Breite der Beschreibungen auch manche Längen mit sich bringt. Jene
"Mehrfach-Witwe" mit ihrer Sammlung an "Kantons-Ansteckern"
zumindest stört fast den Ablauf mehr, als dass diese eine Bereicherung für die
Lektüre darstellen würde.
Fazit
Mit zügigem Tempo dann wieder aber nähert sich Lewinsky mit einer
überraschenden "Offenbarung" eines senil wirkenden Schriftstellers
dem Finale des Buches, das ebenfalls Erwartungen durchbricht und eine Strategie
vollständiger Kontrolle und "genialer" Inszenierung fast ohne
Achillesferse einer Herrschaft durch "Volkskontrolle" perfide vor
Augen führt. Eine empfehlenswerte Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 22. September 2017 2017-09-22 13:21:17