Die dünne Fassade der Zivilisation
Was vom Klappentext her zunächst wirkt wie ein Science-Fiction Roman, entpuppt
sich bereits nach wenigen Seiten als eine Form der Gesellschaftsstudie, die wie
ein weltweiter "Herr der Fliegen" oder eine ausgedehnte Sicht auf das
dritte Reich mit all seinen "Ich wusste von Nichts" Menschen und, auf
der andern Seite, einen tiefen Blick auf jene Seiten des menschlichen Seins
wirft, die schnell bei der Hand ist, wenn es um das (vermeintlich wichtige und
richtige) "Durchsetzen" einer "neuen Wahrheit" ist.
Bis zum Ende im Übrigen wird übrigens offenbleiben, ob es jene "Besucher
aus dem All" wirklich gibt, obwohl zunächst vieles im Roman dafürspricht.
Ein geschickter Kniff des Autors, denn damit wird noch deutlicher, wie sehr
schon die "Macht der Einbildung" den Menschen im tiefsten bewegt. Denn
dass da "friedliche Wesen" kommen, die Anteil zu geben Gedenken an den
"Reichtümern" des Universums (im Sinne von Wissen, aber auch ganz
handfest, was Immobilien angehen wird), die nur eine, wirklich kleine, kaum den
Wert dessen, was sie zu geben bereit sind aufwiegende, Kleinigkeit im Gegenzug
anfragen. Hier und da "menschliches Fleisch". Ein regelmäßiges
Opfer. Müssen ja nicht viele sein, alles im Rahmen, oder?
Was aber nicht im Rahmen bleibt, ist die im Buch freigesetzte
"vorauseilende" Dynamik, die immer mehr an Fahrt aufnimmt. Spiele
werden "eingerichtet" (ähnlich den "Tributen von Panem"),
bei denen jeder Verlierer jeder Runde umgehend "mundgerecht"
übergeben wird. Wobei die "Champs" natürlich Helden sind. Weltweit.
Solange sie eben Helden sind. Was auch eine doppeldeutige Anspielung auf die
vielen "Casting-Shows" unserer Tage darstellt und detailliert
aufgreift, was zu solchen "Events" bewegt und was diese bei Zuschauern
(im Buch der Rest der Welt) auslösen. Zudem trifft, als zweite Linie, die
"Gier der Gegenwart" auf diese Konstellation. Ganz handfest, wenn
Rabinovici, wie an der "echten" Börse, die Nullnummern sich aufbauen
lässt. Ein Run auf Anteile, eine Gier sondergleichen und ein System, dass Seite
für Seite auf den Zusammenbruch zusteuert. Aber was dann?
Wer wird am Ende "den Kopf noch oben" tragen? In einer Gesellschaft,
in der nicht mehr verniedlicht von "Konzentrationslagern" gesprochen
wird, sondern direkt und klar vom "Schlachthof", der auf einer
unzugänglichen Insel liegt und in dem, mehr und mehr und mit wachsender
Geschwindigkeit, nicht mehr nur Verlierer einzelner "Spielrunden" ihr
Ende finden, sondern sich, und da fällt sie, die Fassade der Zivilisation, in
steigernder Geschwindigkeit ganze Gruppen von unliebsamen Querdenkern auf der
Insel wiederfinden. Dass alles erlebt der Leser durch die Augen Sol's, eines
"Talkmasters" der ersten Stunde der "Ankunft", an dem
Rabinovici ganz nebenbei die gesamte, hysterische Welt der Medien und social
media mit ihren vielfach niederen Motiven aufrollt, und dessen Frau Astrid. Die
beide, wider Willen, eher zufällig mit hineingezogen werden bis in das Zentrum
der Ereignisse.
"Wir schmecken Ihnen nicht mehr".
Das könnte, irgendwann, die Lösung der brutalen Vorgänge und des inneren
Dilemmas sein. Eine versteckte Botschaft an den Leser, sich nicht zu leicht und
zu einfach den "Zähnen der Zeit" auszusetzen. Alle Ereignisse haben
doppelte bis dreifache Bedeutungen dabei, bieten einen Blick auf erschreckende
Stationen der Geschichte und bringen auf den Punkt, wie wenig wirklich aus alle
diesem gelernt wurde. Und wie leicht und schnell es gehen kann, dass all die
friedfertigen und "vermeintlich kompromisssuchenden" Haltungen nur
dann etwas wert sind, wenn die "Macht der Vielen" bereit sind, diese
Haltungen zu stützen und zu verteidigen. Wie wenig das alles sich als Kern des
menschlichen Lebens auf dem Planeten im Lauf der Jahrhunderte wirklich gesetzt
hat, das zeigt die reale Gegenwart ja bereits an vielen "bröckelnden"
Orten und Ordnungen.
Fazit
Ein wenig zu gleichförmig ist das alles allerdings erzählt, zudem verheddern
sich die vielfachen Stränge und Bedeutungen der Handlungen, so dass hier und
Verwirrung sich breit macht beim Leser und wirkliche Spannungskurven, auch was
das Finale des Buches angeht, selten bis kaum entstehen. Dennoch eine Lektüre,
die sich lohnt, da hinter den vordergründigen Ereignissen vielfaches
Grundlegendes auf den Punkt herauszulesen ist.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 12. September 2017 2017-09-12 13:15:50