Intensive Auseinandersetzung mit den "Musen des Meisters"
"Die nächsten zwei Wochen in Köln glichen einem langen, nicht enden
wollenden Fest aus Reden, Tanzen, Trinken, aus Sichnähern und Lachen, aus
Malen, Dichten und Lesen, aus Zuhören, Nichtglaubenkönnen und Strahlen, aus
Kunst, Klatsch und Politik".
Unbeschwerte Tage, schöne Zeiten, wie sie jeder hier und da erlebt und später
davon zehren und berichten könnte. Wenn nicht der, der das alles erlebt, eine
ganz besondere, intensive und, inzwischen, weltbekannte Form entfalten würde,
all das erlebte zu verarbeiten. Er malt. Max Ernst ist es, der sich, und nicht
nur dort in Köln, intensiv ins Leben zu stützen versteht und dies alles ebenso
intensiv auf Leinwand bannen kann. Was nicht "irgendwo" herkommt, was
nicht der reinen Fantasie entspricht, sondern was, dass vor allem, seiner
intensiv zugewandten Lebendigkeit entspringt und diesem Leben, dass eben auch
immer, bewusst und unbewusst, sprachlich und non-verbal, im Guten und Bösen, in
Freude und Schmerz von diesem Leben inspiriert wird.
Und das zuallererst von den Personen, die am Nächsten stehen. Die, jede für
sich, die innere Entwicklung und Entfaltung des Menschen und Malers Max Ernst
beflügeln, durch Freude, Liebe, Abwendung, Streit und allem, was sonst noch
dazu gehört, immer wieder tiefer und anders "auf den Weg setzen".
Besonders sechs Frauen, die Markus Orths mit in das Zentrum dieses
biographischen Romas setzt, hat Max Ernst im Leben "gelebt, geliebt und
umschwärmt" (natürlich waren es im Gesamten viel mehr, wie immer wieder
am Rande im Roman mitzulesen ist, denn Frauen waren für Max Ernst, nach dem
Malen, die wohl wichtigste Passion).
Sechs Frauen in verschiedenen Lebensabschnitten, weitgehend an verschiedenen
Orten und zu verschiedenen gesellschaftlichen Ständen der Entwicklungen.
Geschmäht, verfolgt, bedroht, geflohen, geehrt, bewundert, verächtlich
betrachtet in "engen" und "weiten" Zeiten, all das bringt
Markus Orths in wunderbar fließender und auf den Punkt treffender Sprache dem
Leser nahe. Und lässt dabei die kulturelle Entwicklung jener Zeit, die
Freundschaften, Animositäten, das Ringen um Bedeutung, die bedeutsame
kulturelle und künstlerische Veränderung von der behäbigen
"Sachlichkeit" zum "Surrealismus" hin zum
"Dadaismus" intensiv Revue passieren, so dass der Leser nicht nur das
Leben von Max ernst, den Einfluss der intensiven Beziehungen zu den genannten
sechs Frauen (der sich im Werk niederschlägt), sondern eine subjektiv geformte
Schau auf die Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhält.
Die von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert.
"Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen, willst Du der erste
sein"?
"Der junge Mann glaubte, sich verhört zu haben. Dann aber sah er Leonoras
Blick".
Eine aus heutiger Sicht harmlose Szene, die aber zu jener Zeit unbedingter
Ausdruck neuer Freiheit und Ãœberwindung tiefsitzender Konventionen darstellt,
die wiederum im Werk den Ansatz zum "Durchbrechen des Gewohnten"
befördert. Auch wenn der junge Mann nicht Max Ernst ist, Leonora wird nach
diesem "übereinander herfallen" auch für Max Ernst noch wesentliches
ins Leben bringen. Was gerade in der Folge dieser heftig ausbrechenden
Leidenschaft auf, unter in inmitten der Staffelei des jungen Mannes wichtig
werden wird.
"Denn Leonora wollte zwar Erfahrungen sammeln und alles in sich aufsaugen,
was ein junges Mädchen aufsaugen konnte, sie wollte aber vor allen Dingen eins:
unabhängig bleiben".
Impuls der Zeit, Zeichen der Veränderung und eine Haltung, die in der Kunst
aufgearbeitet und ausgedrückt werden sollte. So hängt alles zusammen. Leben,
Liebe, Leidenschaft, Lust, Kunst, Ideen und Ideale, innerer Drang und äußerer
Ausdruck, die "Zeichen der Zeit" und die intimen, persönlichen
Erlebnisse, aus denen Markus Orths ein anregendes und packendes Gesamtbild einer
Epoche und eines "Meisters" erschafft. Ein Leben und eine
"Szene", die alles erprobt und Konventionen ohne Zögern druchbricht.
Figuren, die innere Stärke besitzen und nicht nur inneres Fühlen, sondern
vielfach Erlebtes in Kunst umwandeln.
Fazit
Eine hervorragende, temporeiche, mitreißende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 12. September 2017 2017-09-12 12:54:00