Was genau geschah……
Da reißt einen die Lust (ein wenig) dahin. Da nimmt man einen zwar fremden,
aber attraktiven und freundlich scheinenden Mann mit nach Hause. Reda, der
"schöne Stunden" zu versprechen scheint.
"Ich hätte nie gedacht, dass er gefährlich sein könnte".
Was ein Irrtum war im Leben von Édouard Louis. Wobei, das alles wird sich dem
Leser erst nach und nach erschießen und in einer Form von verschiedenen
Perspektiven, in denen die Geschichte verarbeitet und, nach dem
"Stille-Post-Prinzip" auch mit neuen Nuancen versehen wird, so dass es
dauert, bis klar ist, was genau und was wirklich in jener Nacht geschah (wenn
das überhaupt genau zu klären sein wird). Denn zunächst irritierend ist es
ja, dass Freiwilligkeit ja gegeben war an diesem Heiligen Abend in Paris. Dass
Louis jenen Reda mit eindeutigen Absichten mit nach Hause nahm. Und sich dann in
gefährlicher Situation, gewürgt, bedroht und vergewaltigt während jenes
Abends und der Nacht wiederfand.
Ein Geschehen, das Louis in der Betrachtung der Tat kühl, in der Aufarbeitung
des Geschehens innerlich fiebernd fast erzählt. Er, der aus der Enge der
Provinz doch entkommen, war, in der Metropole angelangt und der nun
zurückflieht in den Schoß des Elternhauses, der Familie. Wo die Veränderungen
der Geschichte ihren Lauf nehmen, subjektive Färbungen, eigene Erinnerungen
anderer mit hineinfließen, gepaart mit dem Wirrwarr an Gefühlen in Louis, der
zudem noch Polizei, Ärzte, das ganze Drumherum mit zu bewältigen hat. Was
Louis, wohlwissend vorher wohl, erst zögerlich angegangen war. Nun liegt es
nicht mehr in seiner Hand. Wobei als weitere Perspektive der Ereignisse auch die
augenscheinliche Herkunft Redas beginnt, eine Rolle zu spielen.
Polizisten, denen nach den ersten Worten klar zu sein scheint, dass man auch
nichts anderes hätte erwarten können von einem "maghrebinischen
Typen". All diese Färbungen, und das ist ein interessant zu lesender mit
Hauptaspekt des autobiographischen Romans ist, wie die Sicht der anderen die
eigene Sicht immer mit "belagert", mit färbt. So dass ein Gemisch
entsteht von eigenen Ressentiments nun und fremden Meinungen und Äußerungen,
wenn Louis nach einer Weile allen, die ähnlich fremd aussehen, mit zunehmenden
bis absolutem Misstrauen begegnet.
Eines wird klar, trotz allem heiß laufen des Verstandes, trotz aller
Bemühungen um einen rationalen Umgang mit dem Geschehen, der eigenen Prägung,
den vielfachen Stimmen des Umfeldes, den eigenen Unsicherheiten und dem zähen
Lauf der Institutionen gegenüber wird die Machtlosigkeit des Einzelnen im
Angesicht von Gewalt, tiefsitzenden negativen Traditionen und dem "Gang der
Dinge" gegenüber mehr und mehr bedrängend, umfassend und belastend. Gut,
dass Édouard, im Leben wie im Roman, echte Unterstützung und Hilfe findet.
Fazit
Bedrängend und präzise zu lesen bietet Louis in seinem neuen Roman einen
ungeschminkten Blick auf das Risiko des Lebens, auf latent breiter zunehmende
Gewalt, auf einen tiefsitzenden Argwohn dem und den Fremden gegenüber, der den
Leser lange nicht loslassen wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 04. September 2017 2017-09-04 12:23:33