Auf der Spur des Vaters
"Als mein Vater beerdigt wurde, war er schon acht Jahre so gut wie
tot".
Und, das vor allem, zwischen dem jungen Marcel und seinem Vater gab es kein
wirkliches, enges Band. Ein schweigsamer Mann, das war Marcels Vater. Einer,
der, wenn es ernst wurde, gerne Lärm macht, um der Situation zu entfliehen, das
war Marcel als Kind. So blieb viel vom Leben des Vaters im Dunkeln. Obwohl viel
zu erzählen gewesen wäre, Denn als Mitglied der Resistance stand ein
erlebnisreiches Leben sicher im Raum.
"Ich habe als Sohn versagt". Nur dieses tief sitzende Gefühl
verbleibt Marcel.
Vielleicht eine der Wurzeln für seinen aktuellen Beruf. Marcel verfasst
Biographien auf Auftrag. Familienbücher, nicht für die große Auflage
bestimmt, sondern für jene, die ihr Leben erzählen möchten um es den ihren zu
hinterlassen. Und er erhält auf diesem Weg eine Chance, auch seinen Vater
vielleicht näher kennenzulernen. Nicht unbedingt in Person, sondern in dem, was
die Resistance ausmachte, mit den Menschen machte.
Durch Zufall trifft er auf einen, der auch, mit seiner Tochter, auf der
Beerdigung seines Vaters anwesend war. Tescelin Beuzaboc. Widerstandskämpfer.
Und Lupuline, seine Tochter, die ihren tiefen Reiz auf Marcel ausübt und diesen
beauftragt, die Geschichte ihres Vaters aufzuschreiben. Geschichte und
Geschichten, die sie als Kind von ihm erzählt bekommen hat und die sie bewahren
will. Es beginnen Gespräche, die zunächst weniger Tescelin, wohl aber seinen
Biographen Marcel an den Rand der inneren Kräfte bringen werden.
Es lässt ihm keine Ruhe, er hört dem Fremden zu und will doch etwas Echtes,
Tiefes, um seinen Vater darin mit erkennen zu können. Eine echte und tiefe
Saite, die einfach nicht anfangen will, zu schwingen. Marcel beginnt zu
forschen, sammelt Indizien, überprüft, was Tescelin erzählt, stößt auf
Ungereimtheiten und sitzt immer wieder, in der drückenden Hitze des Sommers dem
vermeintlich alten Widerstandskämpfer gegenüber. Schon längst ist die
biographische Arbeitsweise verlassen, schon längst wurde der Ton schärfer,
schon längst gleichen diese Treffen eher einem Verhör. Und der Hoffnung auf
Lupuline.
Auch wenn das Thema der Resistance hierzulande keine "Erinnerungsort"
im eigentlichen Sinne ist, das Thema des Romans daher "typisch
französisch" zu nennen wäre, in der ihm eigenen Bildkraft gelingt es
Chalandon, das konkrete Thema durchaus zu überhöhen. Väter und Söhne, Väter
und Töchter, diese nicht wirklich genau zu benennende Distanz ist es, um die
sein Roman kreist. Und um die Suche nach sich selbst in diesem Verhältnis.
Wie sich, im Buch nutzt Chalandon die präzise und drängend geschilderte Hitze
der Jahreszeit als Symbol, Marcel mehr und mehr "entkleidet", sich
seines "Schutzpanzers" der Kleidung entledigt, das ist schon eine
faszinierende Übertragung der inneren Entwicklung in die äußere Erlebniswelt
des Buches. Wie kongenial Tescelin demgegenüber Verhaltensweisen ändert (der
Zigarettenkonsum steigt), Chalandon die kleinsten Regungen der Augen und des
Gesichtes nachvollzieht und so in beiden die Wahrheiten des Lebens beginnen,
nach außen zu treten, auch das ist ganz hervorragend in einer Verschiebung der
Ebenen im Buch dargestellt und zudem stilistisch in ebenso hervorragender
Sprache in den Raum gesetzt.
Fazit
Ein Buch über Väter und Kinder, über die eigene, immer subjektiv erzählte,
Lebensgeschichte und die eigentlichen Wahrheiten, das weit über das eigentliche
(und national enge) Thema des Romans hinausgeht, eine Geschichte, die
sprachlich, stilistisch und im Spielen mit inneren und äußeren Ebenen
hervorragend von Sorj Chalandon gestaltet wurde und den Kern dessen trifft, was
an Wahrheit im Menschen und zwischen Menschen notwendig für den inneren Frieden
der Beteiligten ist.
Selbst das eher unprätentiöse Ende des Buches lässt hierbei nicht
enttäuscht, sondern eben in der Wahrheit dessen, was passieren würde, wäre
man "wahr", zurück.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 26. Januar 2012 2012-01-26 15:30:22