Beängstigend, hoffnungslos, mitreißend
Sara Chestnut, Rufname Sarat, stammt aus dem "blau-roten" Gebiet. Am
Mississippi, Louisiana, kurz vor der Grenze im Staat, die den Beginn des
autonomen Südens kennzeichnet. Eine Menge Verkehr ist in der Gegend.
Schmuggler, Rebellen, die Waffen verstecken, Regierungsangestellte, die
Patrouillen fahren. Und ein Vater, der von den führerlos agierenden, auf Dauer
von Solarenergie betriebenen (und bewaffneten) Drohnen am Himmel die Nase voll
hat, der die kriegerischen Streitigkeiten um Texas misstrauisch beäugt, der
ahnt, dass der Norden Kräfte sammelt, um den Süden endgültig in die Knie zu
zwingen.
Drohen übrigens, die ihr unkontrolliertes Vernichtungswerk nur deswegen
unkontrolliert verrichten, weil der "Süden" die zentrale Steueranlage
der Geräte zerstört hat. Einfach schwarz oder weiß sind Schuld und Wahrheit
in diesem Buch nicht zu bekommen, das wird von Beginn an klar. Ein Süden, der,
analog zum ersten Bürgerkrieg in Amerika, schon technisch nicht mithalten kann
mit den eher einfachen Gewehren aus chinesischer Produktion gegen den
hochgerüsteten Norden mit seinen Drohnen und Hubschraubern. Und das aufgrund,
damals zumindest, "nur" harter Auseinandersetzungen um fossile
Energien. Der Süden bestand auf Benzin, der Norden schuf weitreichende Gesetze
gegen solche Brennstoffe, eine Selbstmordattentäterin sprengte sich und den
damaligen Präsidenten samt Gefolge in die Luft. Die als
"Nationalheilige" im Süden inzwischen verehrt wird.
Und nun, 2075, ist die Lage völlig verfahren. Krieg, Elend, Rebellengruppen,
ein ganzer Staat in Quarantäne seit Jahren, weil dort ein Virus erprobt wurde,
dass "zahm" macht. Ein Vater, der aufbricht, um sich eine
Arbeitserlaubnis für den Norden zu holen und nicht wiederkehrt. Eine Mutter,
die Stärke zeigt und sich und ihre Kinder in einem Flüchtlingslager in
vermeintliche Sicherheit bringt. In einer Welt, in der negative Prognosen der
Gegenwart sich längst erfüllt haben. Meere angestiegen, Landschaften
überflutet, die Weltkarte sieht allein schon geographisch nicht mehr so aus,
wie man sie als Leser kennt. Was eben nicht zur umfassenden Vereinigung
"der Welt" gegen die Katastrophen führt, sondern nur zu einer
Veränderung der Machtlagen.
In Folge dessen der "fünfte Arabische Frühling" ein islamisches
Riesenreich hat erstehen lassen, dass, eine kleine Anekdote am Rande durch El
Akkad, vom alten Europa aus Flüchtlingsboote zum neuen Großreich auf dem
afrikanischen Kontinent und weit darüber hinaus auch mit hervorgebracht hat.
Jenes Großreich, dass unter dem Zeichen des roten Halbmondes seit Jahren
bereits Flüchtlingslager versorgt und einrichtet, Material, Nahrung, Kleidung
mit Containerschiffen nach Camp Patience nahe der Grenze zu Tennessee schickt.
Und sich, auch dies eine Umkehrung der Verhältnisse, mit ebensolchem
Unverständnis den "Selbstmordattentätern" des Südens nähert, wie
es in der Gegenwart der "Westen" den islamischen Attentätern
gegenüber vollzieht.
Klimatische Veränderungen, steigende Meeresspiegel, Elend und Not in den paar
Südstaaten, moderne Slums, hoffnungslose Gesichter. "Wir sind nur hier, um
zu sterben", so die fast einhellige Meinung im Camp, in dem Sarat
aufwächst. Kompakt, groß, kräftig und, vor allem, fast ignorant mutig wird
(was sich schon an einer Mutprobe zeigt, die mit dem Abflusskanal des Lagers zu
tun hat). Sarat, die einen Gönner findet. Einen undurchschaubaren Mann, der
zwischen Nord und Süd sich frei zu bewegen können schönt. Der mit den
islamischen Helfern und deren Lagerleitung beste Beziehungen unterhält. Und der
Sarat beginnt, über Jahre hinweg, hintergründig und langsam, zu formen.
Was nun nicht nur an ihm alleine liegt, sondern an der Vielzahl der
demoralisierenden Erlebnisse der jungen Sarat in diesen apokalyptischen, wirren
Zeiten. Zeiten, die El Akkad hervorragend vor Augen führt. Und deren
eigentliches Drama er, ohne moralisierenden Zeigefinger, ruhig erzählend dem
Leser nahebringt. Denn trotzt alles Unglücks, trotzt vielfacher Katastrophen,
des Untergangs der "alten Welt", der Entstehung neuer Reiche, eines
scheint sich einfach nicht zu ändern. Die Gier des Menschen nach Gewinn. Die
Sturheit der Überzeugung des eigenen Denkens. Die mangelnde Bereitschaft, diese
billige Form von vermeintlichem "Nationalstolz" (im Buch der drei
zerfledderten Staaten des Südens), sich auf keinen Fall etwas sagen lassen zu
wollen. Und sei es auch noch so offenkundig auf Fakten basierend.
Und, ganz zum Schluß, der dramatische Höhepunkt, auf den der gesamte Roman
hinarbeitet, dieses unsägliche (auch wenn das menschlich, was Sarat angeht,
bestens zu verstehen ist) Denken, dass, wenn man schon selber nicht gewinnen
kann, dann "die andere Seite" eben auch nichts davon haben soll. So
kann der Leser mehr und mehr nur fassungslos dem Sog des Romans folgen, der in
einer menschengemachten Katastrophe enden wird, die alles vorher Geschehene an
Grauen übertrifft.
Fazit
Auch wenn die ein oder andere "Verkehrung der Umstände" zu
offensichtlich und ein wenig platt geraten ist, was das reinweg insuläre Denken
des Menschen, das "sich Hochschaukeln" und die grundlegend fehlende
Fähigkeit zur übergreifenden Kooperation angeht, verarbeitet El Akked in
bester Weise zeitlose Geschichte, die wenig Licht am Horizont übriglässt. Was
letztlich der bis dato offensichtlichen Natur des Menschen bedauerlicher eng
entspricht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 26. August 2017 2017-08-26 12:44:22