Bestens getroffene Atmosphäre von leger bis hart
Starr ist 16 Jahre alt. Farbig. Lebt im "Ghetto". Und hat, aufgrund
ihrer Intelligenz und klug sorgender Eltern einen Platz an einer Privatschule.
Eine von wenigen Farbigen dort. So erlebt der Leser Starr in zwei Welten. Mit
ihren Freundinnen, als begabte Basketballspielerin, mit ihrer erste
"Liebe" Chris in der "weißen" Welt und als fest verwurzelte
junge Frau mit ihren Freunden und Freundinnen aus der Kindheit, mit ihrer
Familie (in interessanter Konstellation), im Laden ihres Vaters, angesichts von
rivalisierenden Gangs in der "farbigen" Welt.
Und ebenso steht Starr (und damit der Leser) in einer Reibung und Spannung der
Werte. Hier die klassische Teenagerwelt mit ihrer Sucht nach "Jordans"
an den Füßen, mit Partys, mit den pubertär schwankenden "besten
Freundinnen" und dem Interesse an den "Jungs" (bestens getroffen
die Szene in der Sporthalle, in der die Mädchen sich bewusst ungeschickt
anstellen, um von den männlichen Schülern sich die Würfe "hautnah"
erklären zu lassen).
Und dort Gewalt und Härte, die Starr traumatisch miterleben muss, als einer
ihrer engsten Kindheitsfreunde sie nach einer entgleisten Party nach Hause
fährt. Und ein Streifenwagen die beiden farbigen Jugendlichen anhält. Wobei
Starr und ihren Freunden und Freundinnen von Kinderbeinen an eindringlich
anerzogen wurde, wie man sich zu verhalten hat angesichts "weißer"
Polizei. Immer die Hände sichtbar lassen, keine schnellen Bewegungen,
höflich-unterwürfig im Umgangston, ja nicht bewegen. Und dennoch.
"115", so die Dienstnummer des (weißen) Polizisten. Eine
Verkehrskontrolle, die eskaliert und am Ende Khalil, den vertrauten Freund
Starr's mit drei Schüssen im Rücken tot am Boden zurücklässt. Wobei, so
einfach schwarz und weiß ist es eben nicht, was passiert. Denn Khalil gehörte
einer Gang an und verdiente sein "Taschengeld" vielleicht gar mit
Drogen.
Dennoch, die unseligen, häufigen Ereignisse von drangsalierten, bedrängten,
"einfach so" erschossenen Farbigen, von Nächten, in denen sich die
Familie im einzigen Raum des Hauses aufhält, der keine Außenwände besitzt
("Kugeln wissen manchmal nicht, wohin sie wollen"), der Aufruhr nach
der Beerdigung, die Frage gar nicht mehr nach "Wahrheit", sondern nach
"Gerechtigkeit", die allzu oft, auch im Buch, unbeantwortet bleibt,
all das prägt das das Leben der jungen Starr und wird von Angie Thomas völlig
unprätentiös, in genau passendem, legeren Tonfall und präzise treffender
Atmosphäre ein um das andere Mal auf den Punkt gebracht.
Die legeren Umgangsformen in der farbigen Welt, der "Black Jesus", die
Sorge der Eltern, das Leid von Hinterbliebenen wird dabei genauso lebendig dem
Leser vor Augen geführt, wie die Versuche, in beiden Welten leben zu können
(Starr selbst, vor allem aber auch ihr Onkel Carlos, farbig und Polizist). Eine
Spannung, die zu einem, für Starr kaum erträglichen, "Verrat"
ihrerseits am toten Khalil und damit an ihrer "Herkunftswelt" führen
wird.
Das ist die eine Erzähllinie, stark im Vordergrund, die Auseinandersetzung
Starr's mit sich selbst und der Frage, was richtig und falsch ist und welchen
Preis es kosten darf, nicht "unangenehm aufzufallen" und zum anderen,
den Leser mitten hinein zu nehmen auf die "andere Seite", in das
"innere des Ghettos", das deutlich mehr ist als nur ein Ort. Wie
nebenbei prallen die Welten aufeinander, findet der Leser jenen Onkel Carlos als
jemanden vor, der inmitten eines umzäunten und gesicherten gehobenen
"weißen Wohnviertels" vor und zugleich als Teil einer Familie und
Welt, in der so mancher "Bruder" einer "Auftragsbegegnung"
entspricht. Eine Welt, in der der harmlos scheinende und eigentliche normal
wirkende Versuch der Eltern Starrs, ein klares, geordnetes und gutes Leben zu
führen, immer wieder starken Belastungen ausgesetzt ist.
Fazit
Ein Buch, dass sich wie in einem Rutsch durchliest, in sich stimmig konzipiert
ist und dem Leser die Augen öffnet, wie es sich eigentlich anfühlt, "da
draußen" ausgesperrt zu sein und ständiger, oft grundloser Gewalt in die
Augen blicken zu müssen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 31. Juli 2017 2017-07-31 14:16:55