Geht ans Herz
Man kann als Leser gar nicht umhin, sich im Zuge des Sogs der Sprachfertigkeit
Seigles und seines tiefen Eindringens in die Psychologie der Persönlichkeit der
Pauline Dubuisson mehr und mehr emotional dieser Frau zuzuwenden. Die in
Deutschland wohl kaum bis gar nicht bekannt, aber in Frankreich in reger
Erinnerung ist.
Als junges, eigentlich "jüngstes" Mädchen während der
Besatzungszeit in "Liebe" entbrannt zu einem Deutschen Offizier. Nach
der Befreiung voller Hass auf die Kollaborateure mit einem radikalen
"Schandzeichen" versehen. Wenige Zeit später als Mörderin ihres
Verlobten verurteilt, mit gnadenloser Härte des Gesetztes. Und dann, wieder in
Freiheit, folgt das Scheitern im Leben ihr wie an ihr festgeklebt. Vier Suizid
Versuche sprechen da ihre ganz eigene Sprache.
Während aber in Frankreich "die Schande" und "der Mord"
alles beherrschen; was das Bild dieser Frau ausmacht, versteht es Seigle
intensiv in die Tiefe zu gehen und in seinem biographischen Roman mit großer
Feinfühligkeit das Gesamtbild der Person zu zeichnen. Denn all jene
"Liebe" und die Reaktionen auf dieses, bei Pauline überaus subjektiv
gefärbtes Gefühl, haben einen Ursprung in ihrer Kindheit. Und genau diese
"Prägung" ist es, die dieses Leben so immens immer wieder an sich
selbst und den äußeren Umständen scheitern lässt.
Es ist eben nicht so, wie es noch 1991 im "Paris Match" heißt:
"Auch wenn es um grässliche Verbrechen geht, hat man das Bedürfnis
"etwas zu verstehen"…….Mit Pauline, diesem harten Biest,
funktioniert das nicht. Sosehr ich es befrage, mein Herz bleibt kalt".
Aber nicht das des Lesers, wenn er die einzelnen Etappen dieses Lebens aus der
"Innensicht" Paulines liest. Mit dem zentralen Dreh- und Angelpunkt,
der nicht alles, aber das Grundsätzliche völlig klar auf den Punkt setzt:
"Wenn ich nicht geliebt werde, bin ich wie tot……Man ist, ohne wirklich
zu sein. Wie tot sein heißt, lebendig sein und bereits wie eine Leiche zu
riechen".
In diesem kleinen Satz steckt bereits das gesamte Psychodrama dieses Lebens und
wird klar, warum ein Zurückweisen für Pauline letztlich innerlich nie
hinnehmbar war, einerseits. Ums nackte Überleben kämpfen, das hieß für sie,
Liebe. Ebenso, wie diese "Sucht" sie immer wieder anfällig machte,
gerade in diesen jungen Jahren und gar nicht wirklich unterschieden werden kann
zwischen aufrechten Gefühlen zu einem "zufällig" deutschen Soldaten
und einer immensen "Sucht" zu Gefallen, geliebt zu werden, das
"Objekt der Begierde" ganz und gar "besitzen" zu müssen.
Fazit
Ein Schicksal, dass aufrüttelt, das dem Leser ans Herz geht und das in bester
sprachlicher Form genau mit der richtigen Dosierung zwischen Emotionalität und
betrachtender Distanz von Seigle auf die Seiten gebannt wurde.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 13. Juli 2017 2017-07-13 11:40:56