Liebesgeschichte und Entwicklungsroman in einem
Der Leser lernt Lene kennen, als es gerade "funkt" zwischen ihr und
dem jungen Mann, den Sie per Zufall in der U-Bahn mit ihrem Fahrrad angestoßen
hat. Und durch die Zeitwechsel, die Gräfen ebenfalls vornimmt, lernt der Leser
Lene zugleich an der Schwelle zum Erwachsenwerden statt. Noch im Haus am
Stadtrand mit modernen, legeren Eltern. Mit Ihrem Bruder, der ein Jahr älter
ist und nach dem Abitur nach Asien verreist. Mit ihrer besten Freundin Hanna
(die auch für ihren Bruder Jaro eine besondere Person ist und weiter werden
wird).
Im Lebensumkreis dieser Lebensphase, Auszug, WG mit der besten Freundin, erste
Freunde und dann, mit Hendrik, die tiefe, erste, symbiotische Liebe, die erst
einmal kaum Worte, die auch kaum äußeres Leben benötigt, um tief zu wirken,
das alles vermag Gräfen sehr empathisch, mit gleichzeitiger Distanz des
Beobachters und aus dem Inneren von Lene heraus sprachkräftig zu
beschreiben.
So entsteht ein Kaleidoskop innerer und äußerer Entwicklungslinien junger
Menschen in Berlin, der Ablösung vom Elternhaus (wie Gräfen mit einem Satz
auch die Eltern mit ins Boot holt, die "leben in einem Haus mit nun zwei
mehr leeren Zimmern), wie das Suchen nach einem eigenen Weg beiläufig mitläuft
(auch wenn Hanna umgehend weiß, was sie will und dies auch umgehend bekommt),
wie die Wohnungssuche im Berlin der Gegenwart sich gestaltet (auch wenn Lene und
Hanna wie im Vorbeigehen ihre Traumwohnung erhalten), all das ist auf den Punkt
erzählt.
Mit verschachtelten Sätzen, die zugleich kühl wirken und doch vielfältige
Emotionen transportieren, mit einer sich langsam entwickelnden Geschichte, die
ihre Hürden haben wird. Wie das Gefüge der vermeintlich "reinen
Liebe" erschüttert werden wird und dabei die ganze Ohnmacht und
Hilflosigkeit des jungen Lebens von Lene in den Raum tritt, all das liest sich
treffend, flüssig und gut im Roman.
Wobei da vieles, auch Wichtiges im Vagen bleibt. Kleine Zeichen im Lauf der
Ereignisse in der Beziehung, aber auch mit treffenden, symbolischen Bildern von
Abschied und "dies eigentlich nicht sehen wollen" in ganz
alltäglichen Dingen des gemeinsamen Lebens verwandeln diesen, eigentlich ja
Missstand, wenn nicht ganz klar wird, was da eigentlich im Busch ist und aus der
Vergangenheit von Hendrik die Gegenwart beginnt, mit zu beeinflussen, gerade in
eine Stärke des Buches. Denn der Leser empfindet mit und muss gar nicht so
genau wissen, es reicht, zu spüren, wie da Wichtiges sich Schritt für Schritt
auseinanderentwickelt samt der Trauer, die hier und da bereits im Vorfeld
angedeutet wird.
Fazit
Eine starke, anregende, treffende Lektüre. Bei der es nicht nur im Kopf von
Lene rauscht, sondern auch im Herzen der jungen Leute und es Gräfen gelingt,
dieses "Rauschen" auch dem Leser nah und eng zu vermitteln.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 12. Juli 2017 2017-07-12 12:13:41