Irrungen, Wirrungen, Versagen und Geheimnisse einer Familie
Sehr lebendig, sehr flüssig und mit großem Wortschatz erzählt Ann Patchett
ihre neue Geschichte. Von einer Art "Patchworkfamilie" der besonderen
Art, die sich von heute auf morgen einer öffentlichen Wahrnehmung
gegenübersieht, die wo wohl keiner der Beteiligten sich gewünscht hätte. Mit
einer Vielzahl von Figuren, die Patchett immer ruhig, teils mit wenigen Worten
bestens ins Licht rückt, so dass der Leser im Lauf der Lektüre mehr und mehr
wie ein Teil dieser, durch einen fast unerklärlichen "Funken der
Leidenschaft" auf einer Tauffeier verbundenen, Gruppe von Menschen wird.
Dass Bert Cousins, Staatsanwalt, Vater von 3 1/3 Kindern, verheiratet und
überfordert (warum wäre er sonst so ein "Nestflüchter", der selbst
am freien Sonntag händeringend nach Möglichkeiten sucht, das heimische
"Idyll" hinter sich zu lassen) nicht eingeladen auf einer Tauffeier
auftaucht. Dass seine große Flasche Gin den anwesenden Pfarrer fast euphorisch
an die wundersame Speisenvermehrung bei Jesus erinnert, dass er zunächst eine
Orange nach der anderen in der Küche auspresst, bevor er sich auf Bitten des
Kindsvaters und Ehemanns von Beverly auf die Suche nach dem Säugling in den
vielen Räumen des Hauses begibt, all das hat bereits in der unausgesprochenen
negativen Spannung zwischen ihm und dem Kindsvater und der unausgesprochenen
positiven Spannung zwischen ihm und der Frau des Hauses knisternde Elemente.
Die Patchett sehr geschickt bereits durch das Verhalten der Tante des
Täuflings, Beverlys Schwester, fast vorwegnimmt. Immerhin, einer Ehefrau
gelingt es, ihren Mann rechtzeitig nach Hause zu bugsieren. Der Pfarrer kommt
weniger leicht davon und Beverly und Bert werden sich auch noch alleine in einem
Zimmer begegnen. Sei es, wie es sei, aus anfänglichem Schock und manchen
lebenslangen Animositäten wird aus beiden Familien etwas Neues entstehen. Was
durchaus auch seine positiven Seiten hat und die verschiedenen Menschen aus den
verschiedenen nun verbundenen Familien ihr Leben lang miteinander verbinden
wird. Regelmäßige Treffen eingeschlossen. Was auch düstere Seiten
hervorbringen wird und dann, ein Schock für nicht wenige, als Buch
veröffentlicht im Raum steht. Eine der Ihren hat ihrem neuen Geliebten eine
Menge erzählt. Eine Menge, die dieser zum Bestseller macht.
Was nun? Kann einer einfach das alles öffentlich erzählen? Gibt es einen oder
eine Schuldige? Kann man, will man etwas dagegen tun? Fragen, die durchaus eine
gewisse Dramatik haben, die sich aber im Buch selbst nicht in entsprechender
Form wiederfindet. Trotz der flüssigen Sprache und der Möglichkeiten
Patchetts, Dinge auf den Punkt zu bringen zieht sich die Handlung doch an
einigen Stellen langwierig dahin. Und beruht auch auf einigen eher unrealistisch
Wirkenden Annahmen. Denn warum, bei aller Schönheit Beverlys, sollte ein
"Nestflüchter", dem es mit den eigenen Kindern schon zu viel wird,
statt einer anregenden und vor allem heimlichen Affäre sich vom Regen in eine
gefühlte Traufe begeben?
Wie schon zu Beginn es nicht sonderlich überzeugend wirkt, dass Beverlys
Schwester sich fast verzweifelt dem Pfarrer nähert, der nun wirklich keine
sonderliche Attraktivität zunächst erkennen lässt. Demgegenüber gut gelungen
ist die erkennbare Überforderung der Eltern allen Kindern gegenüber, die von
diesen keinesfalls eingestanden werden wird. Eine Vernachlässigung mit Folgen,
was zu eindrucksvollen Szenen im Buch ausgearbeitet ist.
Fazit
Insgesamt ein sprachlich sehr ansprechendes Werk mit nicht wenigen wichtigen
Themen des modernen Lebens, dass aber durch manche Längen den Leser auch zum
Überblättern einiger Passagen animiert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 11. Juli 2017 2017-07-11 14:10:57