Was schmerzlichen verloren geht
Im Grunde ist die These und Botschaft von Sebastian Junger ganz einfach und
klar. Was eine "gute" Gesellschaft ausmacht, ist, dass die Mitglieder
dieses "Stammes" (zumindest untereinander, gewünscht wäre dies
sicher im großen Rahmen ganz allgemein), sich "nicht nur einander
großzügig zeigen", sondern "Verantwortung füreinander
übernehmen".
Den anderen "Stammesangehörigen" (am besten den anderen
Menschen", zu "sehen". Ihn ein stückweit
"aufzunehmen", sich verantwortlich für ihn zu zeigen. Alte Ordnungen
sind das, die von der orientalischen "Gastfreundschaft" mit ihren
klaren und deutliche Regeln über das Neue Testament (Hüter des Bruders zu
sein) und in anderen Religionen und Verbünde über die Zeiten hi8nweg entfaltet
und bewahrt wurden. Eine Haltung, die gerade in Zeiten allgemeiner
"Entbehrungen" (sehr eindrucksvoll von Junger beschrieben) oft in der
Geschichte stark zum tragen kamen (wobei Ausnahmen die Regel bestätigen). Eine
Haltung, die den anderen anerkennt, wertschätzt und sieht und damit mehr an
Selbstwert vermittelt, als es jede finanzielle Fürsorge leisten kann.
Eine Haltung, so Junger, die in der modernen Gesellschaft nach 1960 Schritt für
Schritt verloren ging und ersetzt wurde durch kleinste bis keine soziale
Verbünde und eine rein effektiv und funktional ausgerichtete Art des
gesellschaftlichen Wirtschaftens, die Menschen am Rande liegen lässt, die eben
nicht mehr "effektiv und produktiv" im System "mitarbeiten"
können. IN den Staaten mit Wohlfahrtssystemen zwar noch materiell einigermaßen
versorgt, aber eben im eigentlichen Sinne nicht mehr Teil des Stammes, der nur
noch abstrakt sich verpflichtet fühlt.
Aus diesen Gedanken heraus wird sehr klar, warum Junger die Beobachtung setzt,
dass Zeiten der Entbehrungen und Katastrophen in dieser Hinsicht oft das Beste
im Menschen freisetzen können und eine tiefe "Schicksalsverbindung"
generiert. Wie stark Depressionen und andere psychische Erkrankungen in solchen
Gesellschaften, die diese Verantwortung füreinander verlieren, auf dem
Vormarsch sind, belegen vielfache Statistikern. Bis hin zu den
"abgeschobenen Alten", die in früheren Zeiten selbstverständlich
Teil der Familie und des Stammes blieben. Auch Räumlich.
Allerdings bleiben bei Jungers durchaus überzeugenden Darlegungen Fragen offen.
Es ist kein unbedingter Automatismus, dass gemeinsame Armut
"Solidarität" erzeugt. Es scheint noch andere Faktoren geben zu
müssen, die im Buch höchstens am Rande angerissen werden. Und was im Lauf von
Jahrzehnten erudiert, kann nicht schnell und einfach so wieder hergestellt
werden.
Dennoch bildet das Buch eine wichtige und nachdenkliche Lektüre. Denn jeder
weiß oder ahnt zumindest, dass der "Sinn des Lebens" und inneres
Wohlbefinden letztlich nicht materiell herstellbar sind. Und das eine rein auf
Produktivität ausgerichtete Gesellschaft dauerhaft instabil wird. Nicht nur
weil der Klebstoff der "emotional Selbstverständlichen Verantwortung
füreinander fehlt", sondern weil auch viele Mitglieder der jeweiligen
Gesellschaft "angehängt" werden und damit eine sich steigernde Unruhe
geschaffen wird.
Fazit
Es ist also nicht nur Altruismus, sich umeinander zu sorgen als Teil eines
Stammes, sondern tief reichender Selbstzweck in Gesellschaften, die stabil
bleiben wollen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Juni 2017 2017-06-07 11:14:37