Eher Spionagethriller denn Kriminalroman
Vorweg, James Runcie beherrscht die Sprache. Diese Sprache des klassischen
englischen Kriminalromans, die ein wenig altmodisch wirkt, das aber in bester
Weise. Zudem sind es die kleinen Feinheiten britischer Traditionen (gerade an
einem Ort wie Cambridge mit seinen dann weit verzweigt in die Elite der
Gesellschaft verlaufenen Linien), die Runcie immer wieder anregend mit
einfließen lässt.
Wenn da über einen nach seinem Tod (und vorher war es ja nicht anders) gesagt
wird, das man "darüber nicht geredet hat". Warum die Ehe zerbrach und
dass die Neigung doch eher an gleichgeschlechtliche "Geliebte" sich
orientierte. Diskret, höflich, dem Lauten, dem Gewöhnlichen völlig abgeneigt,
das ist die Sprache, die in Cambridge gesprochen wird. Wobei der ermittelnde
Polizist, Inspector Keating, durchaus zu dem ein oder anderen deftigen Ausdruck
in der Lage ist.
Was soll man auch davon halten, dass einer der Juniorprofessoren, ein
"Fellow" des nachts mit drei jüngeren wissenschaftlichen Mitarbeitern
immer noch dem alten studentischen Brauch zu frönen gedenkt, als
"Free-Climber" markante Gebäude in Cambridge zu erklettern? Und dabei
zu Tode stürzt. Nicht, ohne dass einer der Mitkletterer spurlos verschwindet
und der andere eher unglaubwürdiges Zeug erzählt, bevor er sich auch von der
Bildfläche von dannen macht. Das ganze Anfang um die 60er Jahre des letzten
Jahrhunderts herum erzählt, in der guten, alten, analogen Welt, in der
Verdächtige nicht mal schnell geortet werden können. Und da weitere
Todesfälle in den Raum treten werden, scheint es doch um etwas Größeres zu
gehen, als einen Dummjungenstreich.
Das nun allerdings Sidney Chambers, junger Pastor in einem Nachbarort,
unverheiratet, mal schnell drängende berufliche Aufgaben wie Krankenbesuche
oder anderes zur Seite schiebt, um ein wenig mit zu ermitteln (auch aufgrund
seines guten Drahtes zum Rektor der Universität, wirkt dann doch ein wenig zu
schnell und künstlich. Der Beruf des Mannes spielt nur eine nebengeordnete
Rolle, wichtiger wird werden, dass auch im Pfarrhaus eingebrochen wurde, ohne
dass auf Anhieb klar wäre, ob und was da fehlt. Was im Verlauf der Ereignisse,
die recht schnell (zu schnell, zunächst) mit Anwerbeversuchen von Studenten
durch internationale Geheimdienste in Cambridge in Zusammenhang gebracht wird,
zudem wichtig ist (und dennoch eines der wenigen Motive im Buch ist, das
unglaubwürdig wirkt und, tatsächlich auch nervt), ist das Privatleben des
Pfarrers.
Denn das ist zunächst alles andere als geklärt, wenn man zwischen zwei, auf
ihre Art je anders und doch sehr attraktiv in Chambers Augen noch schwankt. Ein
wichtiges Motiv aber deshalb, weil ein Teil der Geschichte im Berlin jener Tage
spielt (und dort eine Witwe enger und enger mit Chambers vertraut wird) und die
Lösung zumindest einer der Erzähllinien letztendlich mit den Ereignissen dort
und einigen sehr düsteren Gestalten auf beiden Seiten der Zonengrenze einiges
zu tun haben wird. Wobei vieles bis dahin von Chambers mit zielsicherer
Intuition (nicht immer glaubwürdig) bereits aufgelöst oder geklärt worden
ist. Insgesamt ein stimmungsvoller Roman, bei dem Leser (was den Tod des
Professors angeht) lange nicht Klarheit darüber hat, was denn genau nun wer
getan hat und warum es getan wurde. Mit sorgsam skizzierten Figuren und einem
Talent, Atmosphären der Zeit und der einzelnen Orte bestens zu vermitteln.
Fazit
Eine anregende, wenn auch nicht in allen Bereichen fesselnde Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 24. Mai 2017 2017-05-24 14:45:02