Arnulf Zitelmann legt hier einen sozialkritischen Jugendroman vor, der mit der
Institution Schule abrechnet. Der aus Ecuador stammende amos Filip, dessen
Geschichte hier erzählt wird, geht nicht gerne in die Darmstädter Hauptschule,
die sowieso nur Arbeitslose produziere. Viel lieber treibt er sich im
Darmstädter Landesmuseum herum, wo er sich von Beuys und anderen Malern
inspirieren läßt oder auf dem Alten Friedhof, dessen thuja-Bäume ihn an seine
Heimat erinnern. Er lebt bei seiner Cousine, der jungen und sehr engagierten
Lehrerin Märte Steeden, da sein Vater bei einem Erdbeben in Los Angeles ums
Leben kam und sich seine Mutter, die sich in Ecuador wieder verliebt hat und
erneut heiraten möchte, nicht um den 17-jährigen sensiblen Jugen kümmert.
Eines Tages muß er miterleben, wie seine ebenfalls aus Ecuador stammende
Klassenkameradin Florciata von einem kriminellen Mitschüler, Dismas Kotter
erpresst wird. Als Märte Steeden dem Erpresser mit Schulverweis droht, bringt
dieser kurzerhand ihren Kater um und zerschneidet den Bremsschlauch ihres
Autors. außerdem kommt Amos dahinter, dass Dimas an der Schule mit Drogen
handelt. Ihm gelingt es jedoch, den Erpresser zu überführen, obwohl er von
diesem aus Rache zusammengeschlagen wird. am Ende verliebt er sich in Florcita,
die nach dem tod ihrer Pflegemutter ebenfalls zu Märte Steeden zieht.
Zitelmann, dessen Roman vielschichtige Probleme der Jugendlichen anschneidet,
äußert sich zu den Intentionen seines Romans in einem Nachwort, in welchem er
sich mit der aktuellen Krise der Institution Schule und der Arbeitsgesellschaft
auseinandersetzt. Übergangslos zwängen die Probleme der heutigen Gesellschaft
(Rationalisierung, Arbeitslosigkeit, Globalisierung) die Kinder sehr früh,
erwachsen zu werden; Jugend rücke in die Liste der gefährdeten Arten ein. Das
Bildungssystem, so Zitelmann, müsse effektiver werden; dieser Bereich zähle zu
den aufwendigsten staatlichen Aufgabenfeldern. Doch die Frage, wer dies alles in
Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit bezahlen solle, sei nach wie vor offen.
Bildung sei ein demokratisches Grundrecht. Dieses hätten die Schulen vergessen.
Die Kernfrage, der sich die Schule heute stellen müsse, laute: Wie könne
Bildung im Flex-Job-Land helfen, Lebenschancen zu erhöhen.
Diese Probleme werden im Roman angesprochen, zumal dem sehr sympathisch
gezeichneten Protagonisten Amos Filip aufgrund seines ständigen
Schulschwänzens ein Schulverweis droht. Dieser wird jedoch durch einen
verständnisvollen Direktor sowie eine hilfreiche Erziehungsberaterin
abgewendet.
Die Charaktere sind lebensecht gezeichnet, wenn Zitelmann in diesem Werk auch zu
dualistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen neigt. Differenzierte Charaktere kommen
in dem Buch nicht vor. So ist Dismas Kotter, der Erpresser, abgrundtief böse,
obwohl er seinen üblen Charakter in der Schule gut verbirgt und eine Art
"Doppelleben" führt: hier der "gute" Schüler, in der
Freizeit der Verbrecher. Der von der Lektüre der "Brüder Karamasow"
von Dostojewski geprägte Amos Filip hingegen ist der mitfühlene, sensible
Einzelgänger, der dennoch am Ende den Verbrecher entlarvt und seine erste Liebe
voll erwidert findet. "Happy End" ist also auch hier angesagt.
Sympathisch gezeichnet ist auch die Lehrerin Märte, die Schule noch ernst nimmt
und sich für ihre Schüler beinahe aufzehrt sowie viel Zeit für die
Vorbereitung ihrer Unterrichtsstunden investiert. Hier hat Zitelmann
offensichtlich einen idealen Lehrertyp zeichnen wollen, den es seiner Meinung
nach - er war selber Pädagoge - zu wenig gibt. So fällt auf, dass alle Lehrer
freundlich und hilfsbereit dargestellt sind, auch wenn sie keine Lösungen für
die aktuellen, oben dargestellten Probleme unseres Bildungswesens haben.
Zitelmann ist der Auffassung, nicht die einzelnen Lehrer seien schuld an dieser
Misere und wollten im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten durchaus helfen.
Gut zeichnet Zitelmann auch die Atmosphäre in Amos Klasse nach, in de
lernwillige und lernunwillige Schüler nebeneinandersitzen, was bei kleinsten
Anlässen zu Explosionen führen kann: so bringen sich zwei Schüler, die sich
gegenseitig beleidigt fühlen, mit ihren Butterly-Messern beinahe um ud nur das
beherzte Eingreifen des Hausmeisters kann Verletzungen in letzer Minute
verhindern.
Fazit
Zu dick aufgetragen? Diesen Eindruck kann man zwar zeitweise gewinnen, insgesamt
hat Zitelmann jedoch hier einen beeindruckenden Roman geschrieben, den ich jedem
Jugendlichen ab 13 und Lehrern nur wärmstens empfehlen kann.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 26. März 2004 2004-03-26 20:40:37