Wie gut kennt man die Seinen?
Henri Pick ist tot. Und das schon länger. Friede seiner Seele und, vor allem,
ein weiterhin und nun, nach der Trauerphase, gutes Leben seiner Witwe Madeleine.
Könnte man sagen. Wenn Pick, Pizzabäcker von Beruf, großer Schweiger (salopp
würden manche sagen: "Maulfaul") nicht plötzlich wieder (eigentlich
zum ersten Mal) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Literaturwelt geraten
würde.
Jean Pierre Courvec liebte Bücher und ließ sich durch ein Vorbild auf eine
eher abwegige Idee bringen. In seinem Laden in Crozon, Bretagne, Finistére
baute er Regale, um dort Manuskripte abgelehnter Bücher aufzubewahren für die
Nachwelt. Einzige Regel: Der Autor musste sein abgelehntes Werk selber zu ihm
bringen. Auch das ist länger her. Das Regal verstaubt, die Idee längst
begraben, die Nachfolgerin im Laden nicht motiviert, daran was zu ändern und
Madeleine, die Witwe Henri Picks wieder auf einem guten Weg.
Und sie ist sich gar nicht sicher, ob es ihr guttun wird, dass nun die Person
ihres verstorbenen Mannes wieder in ihr Leben tritt. Denn sie hat sich
eingerichtet als Witwe, fühlt sich wohl, steht dem Leben positiv gegenüber.
Und aufgrund der Vorkommnisse der letzten Zeit ist es unabdingbar, gibt sie ihre
Zustimmung, dass ihr Mann mehr wieder ins Leben treten würde, als zu Lebzeiten.
Denn eine junge, ehrgeizige, literaturliebende Lektorin ist mit ihrem Verlobten,
einem eher erfolglosen Romancier, dessen erstes Werk zwar gedruckt, das aber nun
wirklich so gut wie niemand kennt, Auf Verwandtenbesuch. Und wie es der Zufall
will (oder wie im Märchen, was dieser Roman nun auch in Teilen ist) hört sie
von der Sammlung abgelehnter Werke, fährt hin, entdeckt ein Manuskript eben
jenes Henri Pick und spürt (worin ihr umgehend der Verlagschef zustimmen wird),
dass hier ein literarischer Meilenstein in ihren Händen liegt.
Und umgehend nimmt die Bestseller-Industrie ihren Betrieb auf. Wobei der Leser
zum einen viel über die inneren Abläufe des Literaturbetriebes erfährt, sich
mit der Lektorin fragt, wie dieses Manuskript je abgelehnt werden konnte, sich
dann mit der Familie fragt, ob Pick es je eingereicht hatte und zudem eine ganze
Reihe weiterer Geheimnisse der Personen kennenlernen wird. Die Tochter, die
unglücklich ihren Dessousladen als "Schutzmantel" benutzt, die Witwe,
die eine Affäre hatte zu Zeiten, der Autor, der zwar gedruckt aber nicht von
sich überzeugt ist (zu Recht) und als roter Faden die Frage, wie gut man jene
wirklich kennt, die einen im Leben begleiten.
Das sind mit die stärksten Szenen im Buch, wenn Erinnerungen kommen, wenn eine
Person, obwohl bereits länger verstorben, noch einmal neu entdeckt wird und
ebenjene sich erinnernden Personen sich selbst dabei neu finden. Wobei der Roman
auch Längen aufzuweisen hat, hier und da manche Ereignisse kaum als realistisch
einzustufen sind, durchaus aber auch wieder Spannung in der Frage erzeugt, was
wirklich hinter dem Manuskript steckt. Denn wo wie manche der Personen im Buch
fällt es auch dem Leser schwer, je mehr er Pick kennenlernt, zu glauben, dass
dieser Mann, diese Person wirklich überhaupt die Neigung hatte, etwas zu
schrieben.
Fazit
Eine anregende, leichte Lektüre mit viel "allzu Menschlichem", mit
einigen Längen, mit durchaus tiefergehenden Erkenntnissen über das Leben und
das Innere von Personen, aber auch mit weniger überzeugenden Figuren (wie jener
"Autor ohne Ruhm". Der wohl nur als Sinnbild für all jene gedruckten,
aber weitgehend ungelesenen Werke der Weltgeschichte herhalten muss).
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 13. März 2017 2017-03-13 12:29:41