Spannendes Ratespiel mit intensiv erzählter persönlicher Geschichte
Gut, dass Jane das Haus schnell wieder verlässt (aus Reibung mit ihrer Mutter
vor allem), obwohl ihre vor Jahren entführte Schwester wieder aufgetaucht zu
sein scheint und im Schoß der Familie sich wieder befindet, das wirkt doch
überaus unverständlich und unrealistisch. Bedenkt man gerade, wie eng Gentry
das Verhältnis im Prolog angedeutet hat. Sicher ist es von der Setzung und der
dramatischen Kurve des Romans her richtig, sich nicht mit anderen Neben- oder
Hauptfiguren zu sehr abzugeben (auch der Vater ist im Roman eher eine
Randerscheinung), dennoch wirkt das einfach zu abrupt und konstruiert.
Wie auch die Sprache der Autorin in manchen Teilen des Romans doch zu schlicht
gesetzt ist, um manche Sachverhalte griffig und bildkräftig zu setzen.
Ansonsten aber bietet diese besondere "Mutter-Tochter" Geschichte, der
intensive Rückblick aus Sicht des Opfers auf die "Lebensstationen"
(wobei lange, lange nicht klar sein wird, ob wirklich die "verloren
Tochter" heimgekehrt ist oder eine geschickte Schwindlerin Zuflucht im Haus
der Davalos sucht und nur deren Platz einnehmen will, ein Rätsel, aus dem der
Roman auch seine hohe Spannung zieht.
Acht Jahre sind eine lange Zeit. Acht Jahre voller Trauer, Angst,
Selbstvorwürfen, denn aus ihrem Zimmer heraus, nachts, wurde die damals
13-jährige Julie entführt, quasi vor den Augen ihrer Schwester Jane, damals 10
Jahre alt und versteckt im Wandschrank. Und nun steht sie als junge Frau wieder
vor der Tür- Abgerissen. Mit nackten Füßen. Vertraut, aber auch, nach einigen
Tagen deutet sich dies an, mit Brüchen in ihrer Geschichte und ihrem Verhalten.
Warum denn hat Julie behauptet, kein Handy zu besitzen und nutzt doch eines? Wie
komme es, dass die Therapeutin, die umgehend zu Rate gezogen wird, Julie eher
selten sieht. Und sollte Jane den privaten Ermittler ernst nehmen, der noch ganz
anderes um dieses merkwürdige Mädchen zu berichten weiß?
Eine spannende Abfolge, der Gentry Rückblicke auf Stationen im Leben der
Zurückgekehrten zur Seite stellt, die empathisch und emotional dicht dem Leser
zwar kaum Hinweise auf die Lösung des Rätsels der Identität der jungen Frau
gibt, ihn aber mit hineinnimmt in die "dunkle Seite des Lebens" und,
zu guter Letzt, mit einer überaus überraschenden Wendung die Hintergründe an
einem Ort aufklärt, wo niemand sie wirklich vermutet hätte. Bis zur letzten
Wendung, der sich Anna als Mutter dann stellen muss, was den wirklichen Ablauf
der eigentlichen Entführung damals angeht.
Fazit
Überwiegend eine bestens getroffene Atmosphäre, eine anregende Tiefe der
Darstellung, was das Entführungsopfer angeht, bei dem man einige Brüche gerne
verzeiht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. Februar 2017 2017-02-24 14:47:41