Colonel Vaughn de Vries ist Mitwisser eines Massakers mit 8 Todesopfern. 1993
hatte die APLA (Azanian People's Liberation Army), der bewaffnete Arm des
nationalistischen Pan African Congress, in einer Kapstädter Kneipe eine ganze
schwarze Familie ausgerottet. Die Täter hatten sich darauf verlassen, dass man
ihnen nichts nachweisen kann, solange die Beteiligten eisern schweigen. Doch
jede Gefälligkeit hat ihren Preis. De Vries war damals Polizei-Captain im
Stadtteil Observatory. Die Nerven bei der Polizei lagen kurz vor der ersten
demokratischen Wahl in Südafrika blank. Gerüchte behaupteten, die neue
Regierung würde die Polizei auflösen.
Als de Vries nun 20 Jahre später im Mordfall einer wohlhabenden Firmenerbin zu
ermitteln hat, holt ihn seine Vergangenheit ein und er muss nach der
Verknüpfung zwischen dem aktuellen Fall und der ungesühnten Tat korrupter
Polizeikollegen suchen. Südafrika scheint im Jahr 2015 wirtschaftlich und
politisch am Ende zu sein; nichts funktioniert, weder die Infrastruktur noch die
Abläufe bei der Polizei. Taryn Holt, Erbin von Holt Industries und de
Vries‘ aktuelles Mordopfer, wurde in einem angeblich abgesicherten Haus
brutal getötet, ihre Leiche obszön drapiert. Die Frau lebte allein in einer
Villa mit Blick auf die schicke Waterfront. Bewohner von Kapstadts
Villenvierteln verlassen sich auf hohe Mauern und die Dienste privater
Sicherheitsdienste, die ihnen die Angst vor Kriminalität jedoch nicht nehmen
können. De Vries Chef meldet sich in den Urlaub ab und katapultiert den
Ermittler damit unerwartet an die Spitze der Polizeihierarchie. De Vries
ermittelt in der Folge quasi in einem polizeilichen Machtvakuum. Neben der
Untersuchung, wie der Täter überhaupt in Taryn Holts gesichertes Haus gelangen
konnte, sind ihre privaten und geschäftlichen Beziehungen zu klären. Sex, Geld
oder Politik als Mordmotive stehen zur Auswahl; ein Motiv allein wäre
vermutlich zu einfach. Eine Kunstausstellung Taryns ihrer Galerie hatte kurz
zuvor für Aufruhr in der lokalen Kirchengemeinde und unter Feministinnen
gesorgt. Als erfahrener Ermittler folgt de Vries nicht nur, aber auch der Spur
des Geldes. Der alte Graeme Holt hat als Industrieller vom Apartheidsystem nicht
schlecht profitiert. Bevor de Vries den Fall klären kann, bekommt er es mit
falschen Spuren, einer undichten Stelle im Polizeiapparat zu tun und mit dem
langen Arm einflussreicher Männer, die bereits im alten System über zu viel
Macht verfügten. Wer hier zu den Guten oder den Bösen zählt, bleibt
praktisch bis zum letzten Kapitel offen.
Paul Mendelsons Reihe um den Kapstädter Ermittler de Vries kann sehr gut mit
Deon Meyers Bennie Griessel mithalten. "Die Straße ins Dunkel" ist
der zweite von bisher 3 Kriminalromanen mit dem Ermittler Vaughn de Vries. De
Vries macht in den 20 Jahren zwischen seinem alten und seinem aktuellen Fall
eine interessante Entwicklung durch. Als junger Mann sehnte er sich nach
Respekt und war noch von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt. Heute
will er eine funktionierende Polizei, die endlich ihre paramilitärische
Vergangenheit ablegt. Im Südafrika der Gegenwart ist er im Polizeialltag auch
mit weißen Verlierern einer Quotenregelung konfrontiert, die Jobs und
Studienplätze vorrangig an schwarze Bewerber vergibt. Persönlich ist de Vries
ein knallharter Ermittler, der seinen Männern gegenüber überraschend
fürsorglich agieren kann. In dieser Welt tritt als interessante Nebenfigur die
Gerichtsmedizinerin Dr. Anna Jafari, auf, die von sich sagt, mit einer kleinen
schwarzen, muslimischen Gerichtsgutachterin wäre im Gerichtssaal kein Staat zu
machen.
Band 1
Die Unschuld stirbt,
das Böse lebt
Fazit
Der raffiniert geflochtene Plot verwendet reale Ereignisse des Jahres 1993 und
wirft die Frage auf, was sich für Südafrikas Bürger in den vergangenen 20
Jahren eigentlich geändert hat. Volle Punktzahl und meine Empfehlung für
Leser, die an Südafrikas Geschichte interessiert sind.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 13. Dezember 2016 2016-12-13 14:16:02