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Andreas Baum: Wir waren die neue Zeit

Wir waren die neue Zeit

von Andreas Baum
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-498-05810-4

Preis: 2,01 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
Mit Abstand zu den Ereignissen reflektiert in Andreas Baums Wendezeit-Roman der Student Sebastian Brandt seine Erlebnisse als Hausbesetzer. Die Wohnungsnot war groß nach der Wende. Schnell hatte sich eine unkonventionelle Art entwickelt, Wohnraum zu besetzen und sich im "Amt" einen Mietvertrag dafür zu holen. Im Windschatten der Besetzungen in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain hat sich Sebastian den Besetzern eines gigantischen Gründerzeit-Komplexes aus Wohnhäusern, einem ehemaligen Kino und einem Fabrikgebäude in der Badstübnerstraße angeschlossen. In Nebengebäuden Raum für Handwerk, Theater und andere Projekte zu haben, das klingt märchenhaft. Doch wer schon ein alternatives Wohnprojekt mit geplant hat, kennt die Fallstricke, wenn Basisdemokratie in endlosen Plenumssitzungen die Lebenszeit auffrisst.

70 Bewohner gibt es in dem besetzten Komplex offiziell. Paarbeziehungen untereinander, Kindererziehung, Drogenkonsum, Vegetarismus contra Fleischkonsum, Neid, die Konkurrenz zu anderen Besetzergruppen, eine brisante Gruppendynamik entsteht. Wenn täglich mit der Räumung des Komplexes zu rechnen ist, werden Sexismus und Vegetarismus zum Nebenwiderspruch und müssen – leider – warten. Offiziell wird zwar vor dem Einzug das politische Bewusstsein von Interessenten geprüft, doch einige Bewohner scheinen schlicht Freaks zu sein. Die Wessies müssen sich fragen lassen, ob sie mit der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern überhaupt echte Hausbesitzer seien und nicht nur Revolution spielten. Prompt muss der einzige Bewohner, der regelmäßig in einem normalen Job arbeitet, sich mit Salonlinken auseinandersetzen, die ihm nicht die Wurst auf dem Brot gönnen.

Wie viele andere ist Sebastian aus dem Westen ins wiedervereinigte Berlin gekommen. Student ist er nur noch formal, Hausbesetzer wird sein Hauptberuf. Bald genügt es nicht mehr, alternativ leben zu wollen, jemand muss sich um die Kassenführung und die Instandhaltung der Gebäude kümmern. Der Typus des revolutionären Handwerkers ist plötzlich gesucht. Wer renoviert und Steine schleppt, hat jedoch bald keine Zeit mehr für Politik. Während Sebastian noch mit seiner Selbstfindung beschäftigt ist, sitzen ehemalige Bürgerrechtler längst an den Schaltstellen in Berliner Ämtern – und den Besetzern am Verhandlungstisch im Roten Rathaus gegenüber.
Fazit
Vor der Kulisse der Hausbesetzungen in der Rigaer Straße spielt Baums fiktive Handlung einer Hausbesetzung und darin wiederum die Desillusionierung des Icherzählers Sebastian. Sebastians verzögertes Erwachsenwerden zwischen geplantem Studium und alternativem Projekt hat hohen Wiedererkennungswert - und ist ein winziges bisschen ironisch angelegt.
8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne8 Sterne

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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 28. September 2016

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