Atmosphärisch dichter, fast poetischer Kriminalroman
"Die Einsamkeit, die er seit seiner Kindheit kannte, war ein wie zartes und
doch immerwährendes Unbehagen gewesen, eine Erinnerung an den Schmerz, der
immer wieder von neuem erblühte, um die Oberfläche seiner Existenz zu
zerstören".
Eine Sprache mit poetischer Kraft, bildreich und emotional zugleich, das ist,
was von der äußeren Form her die Romane von de Giovanni zu einem einprägsamen
Leseerlebnis gestaltet. Wie kaum ein anderer versteht es de Giovanni, mit dem
Leser einzutauchen in die Melancholie seiner Hauptperson, in die Atmosphäre der
Personen, der Stadt, dieses einsamen, beobachtenden Lebens. Die alte Kinderfrau
Rosa ist gestorben. Die Nachbarin, Ziel sehnsüchtiger Blicke des Kommissars bei
Nacht (ohne jede persönliche Bekanntheit, versteht sich), hat "einen
anderen". Die letzten Reste von Lebensenergie werden verschlungen von
dunklen Gedanken in schlaflosen Nächten. Da hilft es auch nicht, dass Rosas
Nichte geräuschlos deren Rolle übernommen hat. Da ist es zum Grämen für
Maione, den treuen Untergebenen, den "Mann der Sorgen" mit seiner
lebensbejahenden Frau und seiner turbulenten Familie, dass er einfach keinen Weg
findet, "seinen" Kommissar Ricciardi aufzuheitern.
"Und doch war diese neue Gefährtin namens Einsamkeit im Vergleich zur
vorigen wie das Meer im Vergleich zu einem See".
Da sitzt eines Tages diese ruhige, verhärmt wirkende Frau vor der Tür seines
Büros. Schön und elegant, doch innerlich zermürbt. Nicht nur, weil ihr Mann
das gesamte Vermögen am Spieltisch gelassen hat, sondern zudem noch den Mord an
einem Geldverleiher auf sich genommen hat. Zumindest hat er diese Gewalttat
gestanden. Doch Bianca di Roccaspina kennt ihren Mann und weiß, dass er zur
fraglichen Zeit gar nicht am Tatort gewesen sein kann. Was hat es auf sich mit
diesem Geflecht an Geld, Schuld, Macht, Intrige in dieser dunklen Seite der
Gesellschaft? Welche Rolle spielt der begabte Gitarrist, der im Prolog seinen
Meister findet?
Offiziell ist der Fall abgeschlossen und doch lässt Ricciardi die Sache nicht
los. Etwas Wichtiges zu tun haben statt der Routinefälle, die seit längerem
nur anstehen, sich diffus hingezogen fühlen zu dieser Frau, sich, wie immer und
Teil seiner Natur, festbeißen an den Unregelmäßigkeiten des Falles. Ricciardi
spürt, zumindest im Ansatz, den Anflug von Interesse, Lebenskräften, ein
inneres Zucken in tiefer Melancholie.
Doch selbst er hätte wohl nicht gedacht, in welches Wespennest er im Zuge
seiner privaten Ermittlungen eindringen wird und welche Gefahren, nicht nur für
ihn, auf diesem Weg warten. Denn wo viel Geld im Spiel ist, wo es um
organisierte Kriminalität geht, da hört jeder Spaß und jede Ironie auf und
bitterer ernst tritt in den Raum.
Fazit
Ein sprachlicher Genuss, wieder einmal, den de Giovanni in diesem zugleich klug
inszenierten Fall mit sich beständig steigernder Spannung bietet. Bis zur
letzten Seite lässt der Autor nicht locker, den Leser immer wieder auch
emotional tief mit hineinzunehmen in das Erleben seines "Personals"
und zugleich Stadt und Menschen in dichter Atmosphäre als Hintergrund zu
setzen. Und damit auch Neapel als zugleich romantischen Sehnsuchtsort und
überaus gefährliches Pflaster, wieder einmal, auf den Punkt zu treffen.
Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 21. September 2016 2016-09-21 12:31:26