Sehr fundiert und übersichtlich
"Ein Staat wie jeder andere?", mit dieser Frage beginnt Michael
Brenner, Spezialist für Jüdische Geschichte und Kultur, seine Betrachtungen
und die Darstellung der Historie des Staates Israel in der jüngeren
Geschichte.
Eine Frage, die sich zu Recht stellt, denn eher sind es die ständigen
Konflikte, die inneren Reibungen, die Auseinandersetzungen um die Hauptstadt
Jerusalem mit ihrem Neben- und Miteinander von Islam und Judentum, der
Terrorismus, die Siedlungspolitik, die offene Palästinenserfrage und fast
unendlich viel mehr an Spannungen, die täglich die Nachrichten über Israel
darstellen.
Ein höchst gefährdeter Staat, ein selbst gefährdender Staat, ein ewig
scheinender Unruheherd in und um das geographische Gebiet herum, das scheint die
Realität und Normalität Israels zu sein. Sehnsuchtsort der jüdischen Gemeinde
weltweit (zumindest zu bestimmten Zeiten der Geschichte) und Rückkehrort des
biblischen Volkes (und Staates) Israel.
Sorgfältig und in der Sprache sehr verständlich geht Brenner in seinem
übersichtlichen Werk der Frage des modernen Staates Israel nach, angefangen bei
der Entstehung des Zionismus und seines bekanntesten Vordenkers Theodor Herzl
zum Ende des 19 Jahrhunderts hin. Jene Idee von einem "ganz normalen Staat
im Reigen der ganz normalen Staaten", die sich Schritt für Schritt
durchsetzte, Anhänger gewann, durch die Ereignisse des Nationalsozialismus eine
hohen, äußeren Druck erfuhr, der die Dinge intern stark beschleunigte und der
dann kämpferisch eine Art "Landnahme" durchführte, die im Lauf der
Jahrhunderte ihresgleichen sucht.
"Die Kerle wollen glücklich sein". Das mag als Ausgangspunkt durchaus
eine Beschreibung darstellen. Wie aber jenes "Glück" des eigenen
Staates sich entfaltete, wie es verstanden wurde, welche Strömungen als pro und
contra daran beteiligt waren und wie sich dieser Saat bis heute in einem
umfassenden Spannungsrahmen verwirklicht und darstellt, davon bietet das Buch
ein sehr bewegtes und gründliches Bild.
Brenner arbeitet dabei auch jenen "Grundgegensatz" heraus, der als
Motiv für die bewegte Geschichte des Staates Israel nicht zu unterschätzen
ist. Das Selbstverständnis Israels einerseits als "ganz normaler
Staat" im politischen Sinne und das Selbstverständnis (zumindest in
Teilen) des Judentums, als "auserwähltes Volk" auch "Gottes
Licht in der Welt" zu sein und damit es auf staatlicher Ebene eben
"auch anders" zu machen "als die anderen".
Hier deutet sich bereits auch die Grundthese an, die Brenner formuliert und im
Hintergrund seiner gesamten Darlegungen als roten Faden beibehält und weiter
entfaltet. Dass bei aller Anstrengung der theoretischen Vordenker und der
praktischen Politiker, das "ganz Normale" in den Vordergrund zu
rücken und zum Maßstab des politischen Handelns zu setzen, dennoch gilt (und
praktisch nachgewiesen werden kann): "Zu tief verankert waren die
jahrhundertealten Vorstellungen von den Juden als "den Anderen", um
sie in wenigen Jahrzehnten spurlos verschwinden zu lassen".
Was eben auch für das Selbstverständnis handelnder Politiker und kulturell
einflussreicher Personen im Israel der Moderne gilt. In Verbindung mit dem
Genozid und der dann quasi eigenmächtigen Proklamation des Staates Israel
kommen zwei weitere, für die Außensicht auf Israel und das Selbstverständnis
des Staates selbst hinzu, die bis in die Gegenwart hinein das Bild außen wie
innen entscheidend mitbestimmen.
Fazit
Eine sehr interessante, ruhige und sachliche Lektüre, die den Zionismus, die
Gründung des Staates, die innere wie äußere Geschichte und die
dahinterliegenden Haltungen nachvollziehbar vor Augen führt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 02. Mai 2016 2016-05-02 12:44:11