Erschreckend überzeugend
Als ehemaliger Leiter der Wirtschaftsredaktion des ZDF und, nicht zuletzt, als
selbst betroffener Rentner nun leg Opoczynski mit diesem Buch einen
weitreichenden Bogen der Betrachtung von Stellung und Umgehensweise mit
"den Alten" im Land vor. Im Stil flüssig assoziativ, aus einem Guss
formuliert, mäandert Opoczynski dabei sachlich und sprachlich keineswegs
einfach so vor sich hin. Trotz der sehr umgangssprachlichen und flüssigen
Schreibweise stellt Opoczynski zunächst grundlegende Beobachtungen zu den
jeweiligen Themen (Gesundheitssystem, Multimorbididät, Finanzwesen um Alte
heru, das "4. Alter", die Situation der Pflege, die Umgangsweise der
Mode mit den "Alten", die finanzielle Situation der "Alten"
und was all die alltäglichen Lebenssituationen noch alles ausmacht) dar.
Diese unterfüttert der Autor mit vielfachen praktischen Beispielen, führt
zudem Untersuchungen und Datenmaterial heran, bis er jedes der Themen mit einem
knackigen, auf den Punkt formulierten Fazit schließen lässt, in dem er klare
Handlungsausblicke formuliert. Die einzelnen Themenbereiche sind dabei nicht
unbedingt neu oder gänzlich unbekannt. Fragen der medizinischen Versorgung im
Alter, der nicht ausreichenden Deckung der Pflegeversicherung, der Überlastung
von Mitarbeitern im Gesundheits- und Pflegedienst, der nicht ausreichenden
Schulung auch vieler Ärzte (sehr interessant hier von den vielfachen
Medikationen zu lesen und zugleich darauf hingewiesen zu werden, dass der
Zusammenklang all dieser Medikamente höchst unzureichend nur bekannt ist)
öffnen dabei genauso noch einmal leger im Stil und fundiert in der Sache den
Blick auf die Repressionen des Alters, wie so ganz plötzlich im Leben die
"UN-Farbe" Beige in der Mode den Alten zugedacht zu sein scheint.
Auch wenn einige Formulierungen überspitzt wirken und wohl eher auf den Effekt
zielen ("Putz die Platte, Alter", "Weg mit euch, ihr gehört ins
Heim), sind die dahinterliegenden Unzulänglichkeiten doch gerade in der
Gesamtschau, die Opoczynski im Buch vorlegt, erschreckend, vor allem aber
beachtlich. Wie das so ist mit dem "schönen Ruhestand" und dem
deutlich minderen Einkommen bei gleichzeitiger Lust, noch etwas zu tun oder der
Hilflosigkeit vielfachen "Finanzdienstleitern" gegenüber, die
unseriös und allein auf den eigenen Ertrag gerichtet die Alten noch
umschwärmen (als eine der wenigen Gruppen, die solches "aktive"
Interesse zeigen), das ist wichtig und aufrüttelnd zu lesen.
Der im Buch vorgenommene Vergleich zum Ende der Lektüre hin der verschiedenen
Alterssicherungssysteme der Welt (Arbeit bis zum Schluss in Amerika, Verarmung
in China usw.) zeigt dem Leser dabei, vor allem am schwedischen Modell, deutlich
auf, dass Alternativen vorhanden sind. Dass mit politischem Interesse und,
natürlich, einer gewissen Umverteilung an Finanzmitteln sowie einer anderen
Wertigkeit mancher Arbeiten (gerade im Krankenhaus und in der Pflege) deutlich
Verbesserungen erreicht werden können, die insgesamt der gesamten Gesellschaft
nutzen würden.
Ein wichtiger Impuls, von Opoczynski laut und präzise für die schwerhörigen
bis tauben Ohren der modernen Ausrichtung auf reine Gewinnmaximierung hin
gerichtet, die hoffentlich breites Gehör findet. Denn eins ist klar, so, wie
aktuell (mit noch schwierigeren Aussichten für die Zukunft angesichts sinkender
Renten und nicht ausreichend möglicher privater Vorsorge für einen hohen Teil
der Bevölkerung) wird es nicht gut weitergehen, sondern eher sich all die
negativen Aussichten, die Opoczynski als Status Quo der Gegenwart vor Augen
führt, noch verstärken.
Fazit
Eine interessante, wichtige und nachhaltige Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 21. März 2016 2016-03-21 14:58:17