Bernd Greiners voluminöse Darstellung zur Kuba-Krise erschien bereits 1988 im
Greno-Verlag in Nördlingen. Wie Andreas Etges in seiner
Kennedy-Biographie aus dem Jahre 2003
bestätigt, handelt es sich hierbei immer noch um die umfassendste
deutschsprachigte Darstellung zur Kuba-Krise. Auf 436 Seiten werden Ursachen,
Verlauf und Auswirkungen der Krise aufgrund der damals bekannten Faktenlage
geschildert. Greiner wertete dabei die als "Kennedy-Tapes" bekannt
gewordenen Tonbänder aus, die die Beratungen des amerikanischen Krisenstabes,
des sogenannten ExComm. auf Anweisung Präsident Kennedys ohne Wissen der
Teilnehmer - vielleicht mit Ausnahme des Bruders Kennedys, Justizminister Robert
Kennedys, aufzeichnete.
Es entsteht ein umfassendes Bild der Kuba-Krise, was die amerikanische Seite
angeht. Zu jener Zeit waren allerdings die damaligen sowjetischen Quellen noch
nicht offengelegt. Dies geschah erst in der Ära Jelzin, wo Teile der
sowjetischen Archive freigegeben wurden. Allerdings hat Rolf Steininger zu recht
erklärt, dass zahlreiche sowjetische Archive den Historikern immer noch nicht
zugänglich geworden sind. Einen aktuellen Überblick über die sowjetischen
Motive konnte damals daher noch nicht gegeben werden. Dennoch gelingt es Greiner
zu Beginn seiner Darstellung (S. 20-22), die sowjetischen Motive der
Raketenstationierung plausibel darzulegen.
Insbesondere werden einige Mythen der Kuba-Krise offengelegt. So ist heute
erwiesen, dass es sich bei der sowjetischen Behauptung, die Waffen seien
defensiv, nicht - wie lange angenommen - um eine Schutzbehauptung handelte,
sondern die sowjetische und kubanische Sicht aufgrund der amerikanisch
gesteuerten Intervention in der sogenannten "Schweinebucht" im April
1961 und aufgrund geplanter Übungen mit dem Ziel, den fiktiven Diktator
"Ortsac" (Castro rückwärts gelesen) zu entmachten, durchaus der
Realität entsprach und nachvollziehbar war. Insbesondere zeigen die
Tonbandaufnahmen eindeutig, dass - wie Greiner zu recht anmerkt - von rationalem
Krisenmanagement nicht gesprochen werden konnte. Dies ist heute -
Stefan Brauburger veröffentlichte
eine Serie von damals noch nicht bekannten Pannen - noch plausibler wie zu
Greiners Zeiten.
Die entscheidenden Sitzungen des ExComm, des amerikanischen Krisenstabes, werden
im Anhang mit zahlreichen weiteren Quellen belegt. So wird deutlich, dass
Kennedy zwar alles tat - und dies letztlich erfolgreich - um eine militärische
Aktion zu verhindern. Hierbei überging er sogar den Krisenstab und schickte
seinen Bruder Robert mit dem Wissen nur weniger Teilnehmer dieses Gremiums zu
dem Sowjet-Botschafter Dobrynin, um mit ihm über die schließlich gefundene
Lösung: Rückzug der Raketen gegen Nichtangriffsgarantie und späteren Abbau
der veralteten amerikanischen Jupiter-Raketen in der Türkei [dieser Deal durfte
auf Verlangen der Amerikaner nicht öffentlich gemacht werden und wurde erst
Ende der 1980-ger Jahre bekannt]zu verhandeln. Insofern trug Kennedy
entscheidend zur friedlichen Lösung der Kuba-Krise und der Vermeidung des
Atomkrieges bei. Dennoch zeigen die Sitzungen des ExComm die
Orientierungslosigkeit des ExComm, weil diplomatische Verhandlungslösungen aus
Angst der Kennedy-Administration, schwach zu erscheinen, von vornherein
ausgeschlossen wurden. "Mit politischen Mitteln wäre ein Abzug der Raketen
nicht zu erreichen, also müßte Gewalt angewendet werden. So lautete die vom
Präsidenten und seinem "inneren Kreis" eingebrachte Prämisse."
Insofern ist die Kritik am Modell des "rationalen Krisenmanagements",
auch "rational actor" oder "rational decision-making"
genannt, plausibel. Dennoch bleibt es Kennedys Verdienst, dem Verlangen des
Krisenstabes nach Luftangriffen oder Invasion der Insel widerstanden zu haben.
Dies hätte aus heutiger Sicht zum Atomkrieg und der Vernichtung der Menschheit
geführt.
Und genau hier kommt meine Kritik an Greiners Werk. Dieses Verdienst Kennedys
würdigt er nur andeutungsweise. Letztlich ist Chruschtschows Entscheidung, die
Raketen heimlich nach Kuba zu liefern, die Ursache der aktuellen Krise gewesen.
Es war abenteuerlich von Chruschtschow, anzunehmen, die USA würden sich diese
Aktion in ihrem "Hinterhof" gefallen lassen. Zwar übt Greiner auch
Kritik an der Entscheidung Chruschtschows (S. 21-22), aber insgesamt fällt
diese sehr milde aus. Die "Bösen" sind - bei dem Marxisten Greiner
nicht verwunderlich - die USA. Und diese anti-amerikanische Tendenz, die sich in
allen Veröffentlichungten Greiners findet (so auch in seiner ein Jahr zuvor
erschienenen Publikation: "Politik am Rande des Abgrunds? Die Außen- und
Militärpolitik der USA im Kalten Krieg") stört. So ist dieses Werk zwar
informativ und insgesamt - wie oben erwähnt - die bis heute ausführlichste
deutschsprachige Darstellung der Kuba-Krise, aber ungemein tendenziös. Insofern
sind die Darstellungen Brauburgers oder Timmermanns ausgewogener.