Berlin, im Jahr 2039, kurz vor dem endgültigen Ende unserer Zivilisation. Nach
einer Reihe von Naturkatastrophen, einem Krieg gegen Europa und einem Atomunfall
sind in der Stadt nur wenige halbwegs intakte Häuser zurückgeblieben. Anna
lebt mit ihren Eltern in einer Ruine. Wasser, Nahrungsmittel und Heizmateriel
sind knapp. Besonders der Wassermangel belastet die wenigen Überlebenden; denn
ohne sauberes Wasser kann kein Gemüse mehr angebaut werden. Das Leben reduziert
sich auf Beschaffung von Waren und Vorsicht vor der Militärpolizei. Annas
Mutter hat sich längst depressiv ins Bett zurückgezogen; der Vater versucht
seine Tochter auf ein Überleben ohne Eltern vorzubereiten. Anna ist die
Beschafferin ihrer Familie, ohne die die Eltern nicht überleben könnten. In
ihrer Welt - die die Generation der Eltern zerstört hat - kommen Kinder
offenbar besser zurecht als Erwachsene. Das nächtliche Herumstreunen in einer
menschenleeren Stadt ermöglicht den wenigen Jugendlichen ein ungewöhnliches
Maß an Freiheit. Anna und die gleichaltrige Luki "finden" die
elternlose jüngere Santje und nehmen sie wie eine jüngere Schwester in ihren
Bund auf. Santje gibt Annas Leben wieder einen Sinn, das kleine Mädchen ist
eine Kostbarkeit, die unbedingt beschützt werden muss.
Wenn für kurze Zeit die Stromversorgung funktioniert, geht Anna mit ihrem Board
ins Internet, um zu bloggen. Es ist ein Schreiben gegen die verrinnende Zeit,
ein Wettlauf gegen Annas Verhaftung als Bloggerin oder gegen den Hunger. Ihre
Blogeinträge umfassen etwas mehr als ein Jahr; zur Handlung gehören jedoch
auch Erlebnisse außerhalb dieser Handlungsebene. Im Netz lernt Anna Ben aus
Hamburg kennen; eine gefährliche Beziehung, weil jede Aktivität im Netz die
Aufmerksamkeit der Webpolizei auf Anna ziehen könnte. Erst spät entwickelt
Anna Zweifel daran, ob Ben derjenige ist, der er zu sein vorgibt; denn seine
Darstellung klingt stark nach Agenten-Legende. Weitere Schauplätze ergeben
sich, ein U-Bahn-Tunnel, in dem Aufständische leben, die ländliche Umgebung
der Stadt und ein Erziehungsheim der Militärregierung, in das Anna gesteckt
wird.
Nana Rademacher legt mit "Wir waren hier" eine Dystopie für
Jugendliche vor, in der die Liebesgeschichte nicht im Mittelpunkt steht. Wir
waren hier ... haben während des Zweiten Weltkriegs Überlebende der
Bombenangriffe für ihre Angehörigen an die Mauern der ausgebombten Ruinen
geschrieben. Annas Geschichte übt deutlich Kritik an der Generation vorher,
die nichts zur Rettung der Welt unternommen hat. Doch je näher man als Leser zu
Annas Persönlichkeit vordringt, je stärker stellt sich die Frage, ob Annas
Generation es besser gemacht und den Untergang der Zivilisation verhindert
hätte. Wie hätte man selbst im Verteilungskampf Jeder gegen Jeden gehandelt?
Neben der oberflächlichen Spannung, ob und wie Anna überleben wird, stellen
sich Fragen danach, ob das eigene Überleben wichtiger ist als das der
Menschen, die man liebt, und wie überhaupt eine Generation die folgende auf
ein Überleben vorbereiten kann. Zweifel an der eigenen Wahrnehmung sind
angebracht. Hat Anna sich den Teil der Geschichte außerhalb Berlins am Ende nur
ausgedacht, nachdem sie nicht mehr ins Internet konnte?
Fazit
Annas Erlebnisse im Berlin des Jahres 2039 stellen durch die Erzählweise des
Plots auch an geübte Leser ab 14 einige Anforderungen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 23. Januar 2016 2016-01-23 10:50:31