Fritz Fischer, der 1961 mit seiner These, Deutschland habe die Hauptschuld am
ersten Weltkrieg durch sein Buch "
Griff nach der Weltmacht"
populär gemacht und die sogenannte "Fischer-Kontroverse" ausgelöst
hat, legte 1969 eine interessante Analyse über die deutsche Politik von 1911
bis 1914 vor, welches sein obiges Buch ergänzen sollte. Der "Krieg der
Illusionen" ist heute immer noch wegweisend und sollte in diesem Jahr, in
dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der "Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts" (Heinrich August WInkler) erneut mit Aufmerksamkeit gelesen
werden. Dies gilt um so mehr, als Publikationen wie die von Schultze-Rhonhof:
1939: Der Krieg, der viele Väter hatte - die deutsche Mitschuld am Entstehen
insbesondere des ersten Weltkrieges in fast schon skandalöser Weise ableugnen
und damit die deutsche Politik verharmlosen. Nun hat Volker Ullrich in seiner
hervorragenden Publikation "
Die nervöse Großmacht
1871-1918" einige Thesen Fischers zurechtgerückt und die Mitschuld der
anderen Mächte am Ausbruch des ersten Weltkrieges verdeutlicht, ohne die große
Forschungsleistung Fischers zu leugnen. Manche Annahmen Fischers, insbesondere
die, die zivile Führung habe bewußt auf einen Krieg hingesteuert, sind heute
historisch nicht haltbar (vgl. Ullrichs Kapitel zur Außenpolitik des
Kaiserreiches in oben erwähntem Werk). Im Gegenteil, heute kann belegt werden,
dass insbesondere Reichskanzler Bethmann Hollweg sich der Mitschuld am Ausbruch
des ersten Krieges sehr bewußt war. Dies wird in der neuesten Ausgabe des
"Spiegel" vom 16. 02. 2004, der sich ausführlich mit dem Ausbruch des
Krieges beschäftigt, ausdrücklich bestätigt. Insofern stehen "Krieg der
Illusionen" bzw. "
Griff nach der Weltmacht" nicht
mehr auf dem neuesten Stand der Forschung. Nichtsdestotrotz sind beide
voluminösen Werke nach wie vor sehr anregend und wichtig, da sie einer meines
Erachtens zu beobachtenden Tendenz in der neueren deutschen
Zeitgeschichtsforschung entgegenwirken, die deutsche Mitschuld am Ausbruch des
ersten Weltkrieges zu leugnen, wie dies Schultze-Rhonhof tut. Daher heute noch
lesenswert, wenn auch stellenweise überholt und selektiv im Umgang mit den
verfügbaren Quellen. Als Quellensammlung sei daher nach wie vor Immanuel Geiss
Quellensammlung "Juli 1914" aus den 1960-ger Jahren (erschienen bei
dtv) ergänzend mit heranzuziehen.
Fazit
Fischers Verdienst ist es, die deutsche Geschichtswissenschaft aufgerüttelt zu
haben. Sie nahm endlich - 1961! - die Erkenntnisse der internationalen Forschung
an. So ist es Fischers Werken zu verdanken, dass heute mit den Werken von Klaus
Hildebrandt, Immanuel Geiss, Gordon Craig und vielen anderen hervorragende
Analysen zum Ausbruch des ersten Weltkrieges zur Verfügung stehen. Dies ist -
bei aller Kritik an seinen Werken - sein bleibendes Verdienst.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 23. Februar 2004 2004-02-23 21:17:39