Ernst Niekisch und die dritte imperiale Figur
Der Nationalrevolutionär Ernst Niekisch (1889-1967) ist eine interessante
Gestalt der Konservativen Revolution, welche die Grenzen zwischen dem, was
"links und rechts" ausdrücken soll, recht früh sprengte. Zeit seines
Lebens zog es den Nationalrevolutionär zur Arbeiterklasse aber auch zur Nation
hin. Begonnen hatte sein Weg in der Münchner Räterepublik, er führte über
den Hofgeismarkreis der Jungsozialisten bis in die DDR. Nur einmal, im
Widerstandskreis, einer Vereinigung, die sich dem "nationalen
Befreiungskampf" widmete, fand Niekisch eine politische Heimat jenseits der
deutschen Arbeiterbewegung.
Die imperiale Figur
Seine bedeutsame Schrift "Die dritte imperiale Figur", die 1935 im
Widerstands-Verlag erschien, konnte nicht mehr zur Entfaltung kommen, da sie
kurz danach eingestampft und Niekisch selbst verhaftet wurde. Niekischs Entwurf
ist seine letzte Veröffentlichung vor der Inhaftierung und vor dem Ende des
noch legalen Widerstandskreises. Ihr kommt damit ein besonderer, wenn nicht
sogar einmaliger Rang zu. Deshalb ist es begrüßenswert, daß der in
Toppenstedt angesiedelte Uwe Berg-Verlag ein Reprint dieses sonst sehr schwer zu
findenden Buches neu herausgegeben hat. Das Buch erscheint in der noch viel
umfassenderen Reihe "Quellentexte zur Konservativen Revolution" unter
der Rubrik "Nationalrevolutionäre, Band 6" und ist exklusiv mit einem
Bild des Verfassers versehen, welches auf einem Gemälde von A. Paul Weber
beruht.
Die dritte imperiale Figur ist bei Ernst Niekisch der Arbeiter, den er in einer
Zeit sieht, die zugleich entortende Tendenzen, den Individualismus und die
herrschsüchtige Ideologie des Demokratismus gegenüber den entmündigten Massen
in sich birgt. "Wer die Welt beherrschen will, kann nicht in der Bindung
einer ‚Scholle’ ruhen. (...) Das Imperium verbraucht Volkstum; es mischt
alle mit allen - (...). Das Ende ist die unterschiedslose eingeebnete
Masse." (5) Die Entkopplung des Menschen von seinen gewachsenen und
solidarischen Lebenszusammenhängen, heute gleichsam spürbar im vielfachen
Alten- und vorgeburtlichen Kindermord der "Moderne", macht er als
notwendige Folge dieses globalen Herrschaftsanspruches aus.
Dabei ging es Niekisch stets darum, aus dem Geiste des konstruktiven
Widerstandes die Nation mit der politischen Linken zu versöhnen. Der Historiker
Sebastian Haffner forderte noch im November 1989 angesichts der
Wiedervereinigung, Niekisch wieder auf die Tagesordnung zu setzen: "So
unwahrscheinlich es klingen mag: Der wahre Theoretiker der Weltrevolution ist
nicht Marx und nicht einmal Lenin. Es ist Niekisch." Das universalistische
Prinzip des Kapitalismus, des Profits und einer medial gelenkten Masse
verursachte für Niekisch zugleich immer den Widerstand, der selbst wiederum
durch jene Hegemonie der Zivilisation und ihre staatliche Exekutive und die
Geheimdienste zermürbt wird. "Eigenwüchsige Völker wehren sich dagegen,
sich unter den einheitlichen Nenner des allgemeinen imperialen Prinzips bringen
zu lassen. Ihr Eigenwuchs muß zersetzt werden, damit sie dem Imperium nicht
drückend ‚im Magen liegen’: sie werden ‚verdaut’." (19)
Sein Konzept der dritten imperialen Figur als Alternative jenseits der
imperialen "Verdauung" durch die Herrschaft des Geldes, das nicht mehr
dient, sondern Selbstzweck wird, ist vor allem deshalb aktuell, weil Niekisch
darin erkennt, daß das Instrument individualistischen Machtwillens zwar der
global sich ausweitende Geldfluß ist, dieser aber solange Steine in den Weg
gelegt bekommt, solange es noch Sachen, Werte und Menschen gibt, die nicht
bedingungslos käuflich sind. Der Massenmensch hingegen sei nichts für sich; er
sei nur soviel als er ‚hat’. Mit ihm ist es also ein leichtes, sich
preiszugeben, wenn er Geld dafür bekommt. Genau jene korrumpierbare Masse aber
ist für ihn das Gegenteil des deutschen Prinzips, dessen Träger ein solcher
Genius ist, der in natürlicher Verbindung mit seinen Mitmenschen vorrangig sich
selbst und dem Personalverband genug ist. Auch Anleihen bei Hegel sind
erkennbar, wenn Niekisch meint, die Germanen seien zur Freiheit geschaffen, die
sich spürbar und dauerhaft der Entwurzelung und der Vernichtung des Zuges zum
Übersinnlichen widersetzen.
Antisemitismus?
Deshalb verrät sich für Niekisch in der Stärke des Antisemitismus, der als
Reaktion aufkomme, kein menschenverachtendes und im heutigen naiven Sinne des
Begriffes ideologisches oder "volksverhetzendes" Konzept, sondern
vielmehr die Enschlossenheit, wieder den Weg hin zum elementaren, ungebrochenen,
in natürliche Ordnungen eingegliederten Menschen zu beschreiten, der sich nicht
ökonomistisch zersetzen läßt. Es ist mehr denn je lohneswert, über diese
Perspektive nachzudenken, denn akzeptierte man diese Haltung, könnte womöglich
wirklicher Antisemitismus zurückgehen. Damit meinen wir nicht jenes hysterisch
kultivierte Konstrukt, das unsere Bedenkenträger sich gern basteln, um sich
komplexere Erkenntnisräume des Denkens vom Halse zu halten. Niekisch ist also
kein Antisemit, was ihm linke Kreise vorwerfen. Er schreibt selbst dazu in
seinem Vorwort: "Die dritte imperiale Figur achtet auf ihre Souveränität;
sie ist nicht "anti" - weder antisemitisch, noch antirömisch."
(VIII) Das vorliegende Niekisch-Buch des Uwe Berg-Verlags ist bestens dazu
geeignet, viele Anschuldigungen gegenüber Niekisch zu entkräften, indem wir
ihn selbst sprechen lassen.
Die Rolle Deutschlands
Niekischs Ansichten sind heute einer neuen Reflexion wert. Sein streitbarer,
scharfsinniger und aufrechter Charakter führte schon immer dazu, daß er als
'rechter Denker von Links' in allen Regierungsformen, unter denen er lebte,
zwischen den Stühlen saß. Seine "Widerstandstheorie" versuchte einen
Brückenschlag zwischen Arbeiterbewegung und dem Denken rechtskonservativer
Teile der Bevölkerung. Ihm schwebte wie vielen Denkern seiner Zeit ein Programm
der "nationalen Wiedergeburt Deutschlands" und ein Konzept eines
Europa unter deutscher Führung mit starker Verbindung nach Osten bis nach China
hin vor. Niekisch sprach oft von einem germanisch-slawischen Block, der durch
seine geopolitische Stellung und sein wirtschaftliches Gewicht ein Machtfaktor
ersten Ranges werden solle und sich der hegemonialen westlichen Dekadenz
widersetze.
Deutschlands Rolle liegt dabei darin, Stein des Anstoßes zu sein, der sich den
gnadenlosen Schritten der imperialen Entortung in den Weg stellt.
"Deutschland war vom Gesichtspunkt der beiden imperialen Figuren aus ein
Stein im Wege; sie wollten ihn zertrümmern." (105) Dabei bringt Niekisch
die Strategie imperialer Figuren, unter denen wir heute Demokratismus,
Globalisierung, Menschenrechtsideologie und Kapitalismus verstehen können,
trefflich zum Ausdruck. Die imperiale Figur: "Sie packt die Völker von
innen her: sie senkt in diese die Keime von Gesichtspunkten, Gesinnungen und
Werthaltungen, die insgesamt, sobald sie erst zu breiter Entfaltung gelangt
sind, die Völker gewissermaßen aus eigenem freiem Antrieb in die Bahnen
steuern, die in das Reich der imperialen Figur münden." Wer sich dagegen
wehrt, wehrt sich immer auch gegen die Entwertung der außerökonomischen
Qualitäten und gegen die Ausmerzung geistiger Qualitäten, für die gerade die
traditionell philosophiefreudigen Deutschen bekannt sind, mögen sie infolge
ihres Widerstandes seitens der "Regierenden" auch als
"Extremisten", "Verfassungsfeinde" oder dergleichen
gebranntmarkt werden.
Ein neues Verhältnis von Regierenden und Regierten
In dieser 1935 indizierten und nunmehr in der Toppenstedter Reihe wieder
publizierten Schrift macht Niekisch deshalb anhand eines dualistischen
Verhältnisses sogar auf neue Weise deutlich, wie Regierende und Regierte eines
Staates in Relation zueinander stehen: "Die Tat des Untertanen ist immer so
groß oder so klein, so folgenschwer oder so unerheblich, so weitreichend oder
so kurzsichtig, wie es die Anordnung der Obrigkeit ist, durch die sie ausgelöst
wurde. Die Obrigkeit hat jeweils die Untertanen, die sie verdient; für alle
Sünden und Unzulänglichkeiten der Untertanen trägt die Obrigkeit die
ausschließliche Verantwortung." Jegliches Mißverhalten, jegliches
Vergehen und jegliche Straftat innerhalb eines Volkes und seinen Regierten ist
stets nur ein Modus der Politik der Regierenden und eine analoge Spielart ihrer
eigenen Vergehen an den Schaltstellen der Macht. Kurz: Ohne einen
"Extremismus" oder ohne Verbrechen und Korruption im Staate selber,
der "Extremisten" oder Verbrecher zu definieren sich anmaßt, wäre
die Existenz von politischen "Extremisten" und Übeltätern im Volke
undenkbar. Man nimmt nur solche politischen Phänomene oder Unbehaglichkeiten
wahr, deren negatives Potential man selbst besitzt und damit durch die Verortung
dieser Phänomene außerhalb des Parlaments - außerhalb von sich selber - diese
Eigenschaften bei sich feige abstreitet. Dieses enttäuschende Bild liefern die
repräsentativen "Demokratien" der Gegenwart.
Es handelt sich bei Niekisch um eine wesentliche Neudefinition des
Verhältnisses von Regierenden und Regierten, von etablierter Politik und neuen
politischen Befindlichkeiten im Volke, die eine notwendige Neureflexion über
das Selbstverständnis von repräsentativer Demokratie überhaupt mit sich
führt. Nur diese Staatsform definiert sich doch über ein spezifisches
Verhältnis von Regierenden und Regierten, von Volk und Staat. Sie zeichnet sich
aber gegenwärtig trotz der Notwendigkeit dieser Neureflexion durch eine
selbstimmunisierende Tendenz aus: Vieles darf kritisiert werden - außer die
"Demokratie" oder zumindest das, was sich hegemonial und
"herrschaftsfrei" als solches ausgibt. Die Menschen werden damit zu
Sandkörnern geistig entleerter Individuen. Dieser monologe Begriff von
"Demokratie" knechtet alle, die noch Ethos haben und sich nicht auf
diesen Status herunterdrücken lassen. So wird der "Demokrat" zur
Karikatur der Freiheit.
Das Ende
In der DDR bekleidete Ernst Niekisch noch zahlreiche Funktionen. Dennoch entzog
die deutsche Teilung ihm den Boden: "Zuletzt erkannte ich, daß man in
Deutschland nur noch die Wahl habe, Amerikaner oder Russe zu sein." 1945
wird er aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit. Er übersiedelt nach Berlin und
tritt in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, später wird er
Mitglied der SED. 1948 wird er Professor der Soziologie an der
Humboldt-Universität zu Berlin/Ost, wo Werner Maser sein Assistent ist. Sein
Schüler war der Publizist Wolfgang Venohr. Nach der Niederschlagung des
Aufstandes vom 17. Juni 1953 legt er alle politischen Ämter nieder. Im Februar
1955 tritt er aus der SED aus. Er verstärkt seine Kritik am Regierungssystem
der DDR und siedelt nach West-Berlin über, wo er in seiner Wohnung in
Berlin-Wilmersdorf am 23. Mai 1967 stirbt. Seine Schriften bergen nach wie vor
ein großes geistiges Potential, das zudem inhaltlich noch besser verstanden
werden kann, wenn der Leser sich auch noch anderen Schriften der Reihe
"Quellentexte zur Konservativen Revolution" annähert. Niekischs Buch
selbst ist schon ein guter Grund für diesen Entschluß.
Fazit
Eine spannende Lektüre, die aufzeigt, wie sich politisches Denken der
"Linken" und der "Rechten" mit konstruktivem Anspruch
bedingen und ergänzen.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 14. Juli 2007 2007-07-14 10:37:14