Wladimir Tutschkow, 1949 in Moskau geboren, gehört sicherlich zu den
talentiertesten russischen Gegenwartsautoren. Auf den vorliegenden Band wurde
ich durch die Buchmesse 2003 aufmerksam. In kurzen Erzählungen schildert er die
neureiche russische Gesellschaft. Der Autor wurde - meines Erachtens zu recht -
als Meister des Skurrilen bezeichnet und hat mich in vielem an
Nikolaj Gogol erinnert, der
ebenfalls zu seiner Zeit den Alltag auf fast surrealistische Weise
nachgezeichnet hat. Ob man sie wirklich als die "besten Erzähllungen des
Jahres" bezeichnen kann, bleibt natürlich Geschmacksache. Auch die Werke
von Alexander Ikonnikow haben mir sehr gut gefallen. Aber auch Tutschkows
Geschichten, die in der Tat vom absoluten Bösen handeln, zeigen, zu welchen
Handlungen die Menschen in einer Gesellschaft fähig sind, in der es keine Werte
gibt. Insofern haben mich die Erzählungen auch an die Romane Andrej Kurkows
"
Picknick auf dem
Eis" erinnert. Ein "Happy end" gibt es nicht und
Gerechtigkeit? Danach kann man lange suchen. Vielleicht ist ein Satz aus der
Erzählung: "Der Herr der Steppe" für Tschuikows Intention
bezeichnend: Dimitri, der Held, liest seine Lieblingsautoren Fjodor Dostojewski
und Leo Tolstoi und "genoss die niederträchtigen Momente, in denen das
Böse über das Gute triumphierte." Diesen Eindruck hatte ich von allen
Geschichten: da heuert Steve in: "Die zwei Brüder" seelenruhig einen
Killer an, um seinen Bruder umzubringen, da er an das väterliche Erbe kommen
möchte. In der Erzählung: "Das Leben endete mit einem Herzschlag"
scheut sich ein Mann nicht, seine Frau ermorden zu lassen, um an das Geld der
Lebensversicherung zu kommen. Doch die Killer wollen sich mit dem vereinbarten
"Lohn" nicht zufriedengeben. Um das Geld zusammenzubringen, ermordet
der Mann noch seinen eigenen Sohn. Doch dies nutzt ihm nichts.
"Moral und Sittlichkeit hat derzeit niemand, der sich in die Einsamkeit
zurückgezogen hat." Dieses Credo des Autors - ich beziehe mich auf das
Nachwort - sind das Leitmotiv der Geschichten, die sehr an Stories von Jack
Ritchie erinnern. "Klug, beunruhigend, perfekt" heißt es auf der
Rückseite des Buches.
Stilistisch nicht so ausgefeilt wie Ikonnikow oder Kurkow (daher vergebe ich
nicht die volle Punktzahl) zeigen die Erzählungen den "amoralischen
Menschen" und läßt den Leser tief beunruhigt zurück? Sieht so die
"schöne neue Welt" der Gegenwart und Zukunft aus?
Fazit
Mir ist die Gänsehaut bei der Lektüre einiger Geschichten heruntergelaufen.
Dass dem Autor dies gelungen ist, spricht für seine inhaltliche Qualität.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 23. Februar 2004 2004-02-23 21:10:49