Ich habe einige negative Rezensionen zu diesem Buch mit Erstaunen gelesen und
kann sie absolut nicht teilen. Für mich gehört die Studie der beiden
amerikanischen Politologen und Historiker Richard Ned Lebow und Janice Gross
Stein zu den besten, was politikwissenschaftliche Forschung zu bieten hat. Die
zentrale These des Buches ist, dass die Politik des Kalten Krieges, die auf
Abschreckung und Furcht beruhte, keinen Sieger hatte. Sie setzt sich damit in
völligen Gegensatz zu der selbstgefälligen Annahme des amerikanischen
Präsidenten George W. Bush sr., der 1992 konstatierte, die USA hätten den
Kalten Krieg gewonnen. Die Autoren beweisen, dass die Strategie der Abschreckung
mehr Krisen erzeugt und zur Eskalation der Krisen beigetragen haben. Dies wird
an der Kuba-Krise von 1962 (es ist in der Tat das beste Kapitel zur Kuba-Krise,
welches ich kenne) und der Nahost-Krise von 1973 dokumentiert. In einem
Schlusskapitel werden Vergleiche und Lehren aus beiden Krisen gezogen. Zentrale
These: "The cold war had no winners, only loosers." Die Sowjetunion
verlor ihre Weltmachtrolle, doch auch die USA "paid a heavy economic,
diplomatic, and moral price" für den Kalten Krieg. Wie Bernd Stöver in
seinem Buch "
Der kalte
Krieg" zu recht konstatiert hat, war es insbesondere Gorbatschow,
dessen Politik zur Beendigung des Kalten Krieges beitrug. Die Sowjetunion stand
in den achtziger Jahren innen- wie außenpolitisch vor enormen
Herausforderungen. Gleichzeitig schien mit der Politik der Abschreckung und
Aufrüstung keine tragfähige Lösung mehr möglich. Die von Gorbatschow, dessen
Einsetzung als Kremlchef 1985 der amerikanische Politikwissenschaftler Myron
Rush vollkommen korrekt bereits als "Unfall des sowjetischen Systems"
bezeichnet hat, betriebene Politik, die ihn aus eigener Einsicht zu der
Erkenntnis führte, die notwendigen wirtschaftlichen Reformen seien nur durch
einen Ausgleich mit dem Westen und den USA zu erreichen, war ein Glücksfall
für die Welt. Folgt man dieser Auffassung, die Bernd Stöver begründet, so war
der Kalte Krieg kein Sieg des Westens, sondern in erster Linie ein historischer
Zufall. Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen wäre, wenn in Moskau
1985 nicht Gorbatschow, sondern seine Rivalen Grischin oder Romanow Kremlchef
geworden wären - keine abwegige Annahme. Der Lauf der Welt wäre ein anderer
gewesen. Soweit, so gut. Natürlich ist in den USA diese These bestritten, v.a.,
dass die Auseinandersetzung während des Kalten Krieges vor allem ein
Weltanschauungskrieg, ein Krieg der Ideen gewesen ist, der durch Stereotypen und
die gegenseitige Wahrnehmung geprägt worden ist. Darauf hat gerade Richard Ned
Lebow in seiner bahnbrechenden Untersuchung: "Between peace and war"
aus dem Jahre 1981, also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (die Studie
erschien nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan auf dem Höhepunkt der
Polen-Krise und im Jahr des Amtsantritts von Ronald Reagan, der die Politik der
Eindämmung gegenüber der bisherigen Politik der Entspannung, die seit der
Kuba-Krise betrieben worden war, favorisierte) und noch deutlicher in dem mit
Janice Gross Stein 1989 erschienenen Reader: "Psychology and
deterrence", der zusammen mit Robert Jervis herausgegeben worden ist,
hingewiesen. Seine Methodik ist auch hier diejenige, anhand ausgewählter Krisen
vergleichende Schlüsse zu einem Management von Krisen zu bekommen. Es ist klar,
dass "revisionistischen" US-Historikern seine Schlussfolgerungen, der
Beitrag der Politik der Abschreckung habe den kalten Krieg lediglich verlängert
und das Ende des Kalten Krieges sei - wie Stöver auch bilanziert - auf die
veränderte sowjetische Politik seit Gorbatschow zurückzuführen, die den
Teufelskreis der gegenseitigen Sicherheitsdilemmata auflöste, nicht gefällt,
daher wundern mich die negativen Rezensionen nicht. Aber sie werden der Leistung
dieses Buches nicht gerecht. Die zahlreichen Interviews und Quellenbelege
zeigen: es handelt sich um eine immense Quellenarbeit, die in der Tat belegt,
dass alle Beteiligten durch die Politik des Kalten Krieges zu den Verlierern
zählten und die USA keinesfalls den Kalten Krieg gewonnen haben.