Das obige Buch gibt einen guten Überblick über Ursachen, Verlauf und Entstehen
von Krisen. Ich selber habe sehr viel darüber gelernt. Der Autor zeigt, wie
wichtig Fehlwahrnehmungen und Fehlkalkulationen sind. In Anlehnung an Robert
Jervis argumentiert er, Außenpolitik werde durch eigene Werturteile über die
vermeintlichen Pläne und Absichten anderer Staaten beeinflusst. Wenn diese
Urteile einmal festgelegt seien, könnten sie als stereotype Wahrnehmung zu
Vorteilen werden und damit die Lösung von Krisen verhindern, da
Missverständnisse und Fehlkalkulationen auf der eigenen Seite verhinderten, die
Absichten des Gegenspielers vorurteilsfrei zu analysieren. Dies zeigt der Autor
anhand zahlreicher Krisen auf., die er als "Learning experience", also
als Chance, daraus zu lernen, begreift. So führte die Kuba-Krise zur
Entspannung, weil beide Gegenspieler einander zunehmend vertrauten. "The
Chinese ideogram for crisis connotes both: danger and opportunity. Until now we
have examinated only the dangerous side of crisis, the possibility that it will
lead to war. But crisis can also faciliate the resolution of conflict and reduce
the probability of future confrontations." (S. 309). Krisen können also
auch zur Vertrauensbildung beitragen. So wurde die Kuba-Krise zum
"Katalysator der Entspannung" (S. 337). Die Kuba-Krise wird näher
untersucht in dem Buch: "We all lost the cold war" desselben Autors.
Dieses Buch ist sicherlich aktueller als das vorliegende. Dieses ist jedoch als
theoretische Grundlage unverzichtbar. Es gibt meines Erachtens kaum ein besseres
Buch über Ursachen, Struktur und Lösungsmöglichkeiten politisher Krisen. Es
zeigt, wie wichtig offene Diskussion freie Meinungsäußerung in Krisenstäben
ist. Dies wird hier konkret am Vergleich von Faschodah-Krise 1898 zwischen
Frankreich und Großbritannien und Kuba-Krise 1962 zwischen USA und UdSSR
untersucht. Die Faschodah-Krise konnte entspannt werden, weil Premierminister
Salisbury eine offene Diskussion in seinem Krisenstab zuließ und
Alternativmöglichkeiten deutlich wurden. Die Kuba-Krise wurde zwar auch
gelöst, aber Kennedy engte die Lösungsmölichkeiten sofort ein: die sogenannte
"diplomatische Option" kam nicht in Frage. Obwohl
Verteidigungsminister McNamaha überzeugt war, dass, dass die sowjetischen
Atomraketen auf Kuba keine Auswirkungen auf das gesamtstrategische Gleichgewicht
hätten und sich daher aus seiner Sicht eine diplomatische Verhandlung mit den
Sowjets angeboten hätte, wurde er gezwungen, diese Option zu vergessen und
militärische Aktionen vorzuschlagen ("McNamaha was bludgeoned into
accepting the need for forceful accounts"). Er schlug dann die - im
Vergleich zu Luftangriffen und Invasion - gemäßigtere Blockade Kubas vor. Wie
wichtig also Stereotype, Vorurteile und die Wahrnehmung des Andersdenkenden ist
und wie wichtig es andererseits ist, den politisch Andersdenkenden nicht zu de!
mütigen und alle Seiten ihr Gesicht wahren zu lassen, wird deutlich. Nur dann
kann es zu Deeskalation von Krisen kommen. Faktoren, die zu Eskalation und
Deeskalation von Krisen beitragen, werden ebenso untersucht. Es ist klar, dass
ein Autor, der so dezidiert die politische Psychologie betont, den Denkansatz
des "Vaters" der Realisten (einer Denkschule in den Internationalen
Beziehungen), Thukydides in einem Schlusskapitel widerlegt (Thucydides
rebutted), obwohl Thukydides - wie Gert Krell in seinem Buch: "Weltbilder
und Weltordnung" zeigt - nicht unbedingt nur dieser Denkrichtung zugeordnet
werden kann, sondern vielfältig interpretierbar ist.
Fazit
Krisen hätten nicht nur machtpolitische Ursachen, Kriegs- und Krisengründe
seien vielfältig. Dies verdeutlicht zu haben, ist das Verdienst dieses
großartigen Standardwerkes, welches zu den Besten gehört, die es zu diesem
Themenbereich gibt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 23. Februar 2004 2004-02-23 14:05:40