Konflikt als Mittel souveräner Selbsterhaltung in Geist und Politik
Die Dialektik von Exklusion und Inklusion gewinnt in einer globalisierten Welt
an Bedeutung und äußert sich darin, daß die Zurückweisung der Ziele des
hegemonial universalisierten und eschatologischen Verlangens "westlicher
Demokratien" das Verdikt nach sich zieht, "Schurke" oder
"Barbar" zu sein. Wie steht es also um das Verhältnis zwischen Freund
und Feind, zwischen Theorie und Gegentheorie sowie um die Möglichkeit zum
Konflikt überhaupt?
Der leidenschaftliche Verfechter des konservativen Gedankens in Deutschland,
Georg Quabbe (1887-1950), schrieb 1927 in seinem brillianten Hauptwerk Tar a Ri
dazu: "Ich halte dafür, daß jede politische Theorie von Rang in normaler
geistiger Atmosphäre ihr Gegenstück auslösen muß (...)." (Georg Quabbe:
Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema. Nachdruck der Ausgabe
Verlag für Politik und Wirtschaft/Berlin 1927, Toppenstedt: Uwe Berg-Verlag
2007, S. 80) Er bezog dies sogar auf die nötige Bildung von Gegenpositionen in
der eigenen Partei und stand somit einem nivellierenden Universalismus des
Denkens fern. In der heutigen Zeit mit ihren kultivierten Konstruktionen von
Außen- und Binnenmoral, von "Schurkenstaaten" und
"gerechten" Kriegen, "Demokraten" und
"Extremisten" sowie der Tendenz, geistige Gegenstücke - den Konflikt
also - gleichsam ausmerzen, bleibt die Klärung der Frage nach der Möglichkeit
des Erhaltes von Konflikt als Basis des Politischen, welche in einer normativ
universalisierten Welt schwinden würde, ein dringendes Desiderat der Forschung.
Hans-Dietrich Sander faßte jene entortenden Tendenzen des politischen und
moralischen Universalismus zum Ende des 20. Jahrhunderts in einer fast
verschollenen Schrift trefflich zusammen: "Die Ubiquität der Technik, die
nivellierenden Folgen der Industrialisierung und der entproblematisierende
Anspruch der Rationalisierung haben, beschleunigt durch den Zerfall der bislang
geschichtsbildenden Staaten, Reiche, Imperien, die entortenden Tendenzen zu
fixen Dominanten in der Lage der Moderne aufsteigen lassen. Das Besondere droht
vom Allgemeinen more geometrico verschlungen zu werden. Das Konkrete droht der
Abstraktion, der Spiritualisierung zu verfallen. Das Subjekt drohte Objekt zu
werden, ohne zu wissen, wessen." (Sander, Hans-Dietrich: Die Auflösung
aller Dinge. Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der
Moderne, München: Castel del Monte 1988, S. 35.)
Eine solche Auffassung besitzt Aktualität, da Wirtschaftsstaat und Kulturstaat
in komplementärem Verhältnis zu den anderen Dimensionen von Staat stehen. Sie
sind zunehmend im Sinne der Wahrung einheimischer Primärkultur - der Wahrung
des Konkreten - zu agieren gezwungen, weil sich im Zuge der Belastung der
Integrationsfähigkeit europäischer Demokratien stets jene als
integrationsfähiger erwiesen haben, die selbstbewußt auf eine kraftvolle
Kultur zurückblicken und von dort aus einen pluralistisch definierten geistigen
Wertekonsens neu ins gesellschaftliche Spiel einzubringen begonnen haben. Dieser
kann eben nicht Essenz einer indifferenten universalistischen Norm sein. Die
Sphäre des Politischen bleibt hier entgegen dem universellen Druck der Moderne
erhalten. Geistiger Pluralismus und die Konkretion der Phänomenalität des
jeweils Kulturellen schließen sich offenbar nicht aus.
Wer dieser Frage tiefer nachgehen möchte, sollte zum Buch von William Rasch
greifen. Rasch, Associate Professor of Germanic Studies an der Indiana
Universität, befasste sich in früheren Schriften mit der
politikwissenschaftlichen Tradition in Deutschland. Ihm kommt nunmehr das
Verdienst zu, genau diese Frage nach der Rechtmäßigkeit einer global sich
ausbreitenden Zivilgesellschaft, also die Frage nach der Beseitigung der
Politik im Namen der Moral, im Namen der artifiziellen Legalität des
einseitigen Verständnisses von Demokratie als Parteiendemokratie und der
neoliberalen Wirtschaft, umfassend beleuchtet zu haben. Mangelt es in der
deutschen Politikwissenschaft und ihrer Philosophie in der Gegenwart an einer
wissenschaftlichen Begründung und demokratietheoretischen Entfaltung dieser
Perspektive, welche von den verfassungs- und wirtschaftspolitischen Formeln der
Nachkriegszeit und des Neoliberalismus absieht und geht die
"kommunitaristische Debatte" mit Charles Taylor in der amerikanischen
Hemisphäre bereits den Weg der Ergründung von konkreter Identität (Taylor,
Charles: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität.
Frankfurt/M.: Suhrkamp-Verlag 1996.), so betont Rasch in seinem aktuellen Buch
analog dazu die Identität eines jeden Volkes als souveräne Entität. Sie
stemmt sich gegen den normativen Monismus der Menschenrechte und ihrer per
definitionem indifferenten Ideologie. Im Gegensatz zu diesem nahezu hegemonialen
politischen Druck ist es sein erklärtes Ziel, die "Unvollkommenheit und
Komplexität des Politischen" anzuerkennen. (11) Er untersucht in einer
gleichsam integrativen Grundhaltung, "ob es noch möglich ist, Konflikt als
die notwendige und gesunde Basis politischen Lebens zu bestätigen." (12)
Sein Buch gliedert sich dafür in einen Exkurs über Agambens Kritik der
Souveränität (86), widmet sich der Frage nach der Revolution (111), um
schließlich die Aktualität eines ideologischen Konstruktes wie dasjenige des
"gerechten Krieges" (130) zu beleuchten, das stets darauf bedacht
gewesen sei, vor allem auch den berühmten "Sonderweg der deutschen
Geschichte" (131) endgültig zu besiegen und sein "Heil" den
Europäern zu spenden.
Dem entgegengesetzt existiert für Rasch das Politische nicht, um uns in das
gute Leben zu führen und die überall den historischen Sonderwegen des Denkens
zugrunde liegende husserlsche Phänomenalität des Bewußtseins zu leugnen,
indem es soziale oder historische Konfigurationen eliminiert oder grundlegende
Konfliktlinien befriedet und damit verharmlost. Das Politische existiert
vielmehr deswegen, um in Anbetracht einer zwangsläufig fehlenden endgültigen,
universell akzeptierten Vision vom guten Leben als das notwendige Medium für
einen annehmbar begrenzten und deshalb "produktiven Konflikt" zu
dienen. (40) Der Konflikt gilt ihm hier im Sinne der klassischen deutschen
Philosophie eines Fichte (1762-1814) oder Hölderlin (1770-1843) als
konstruktiv. Er ist Quelle umfassender schöpferischer und sich
synthetisierender Energien, die zur Bewältigung des Lebens überhaupt und zur
Überwindung irdischen Leidens freigesetzt werden. Verkürzt: Eine normativen
Universalien gehorchende und damit merklich ziellose Welt ist keine lebenswerte
Welt.
Gleichwohl sieht Rasch in der politischen Strategie der globalen Vorherrschaft
der USA ein "Taschenspielerkunststück" (55) von geringer
ontologischer Qualität, wie sie wohl auch von der deutschen Philosophie des
Idealismus in ihrer Abneigung gegenüber jedem starren Entweder-Oder-Formalismus
zwischen "gut" und "böse", zwischen "Demokraten"
und "Barbaren" abgelehnt worden wäre. So verwundert es nicht, daß
Rasch von einer hegemonialen Täuschung spricht, aus der ein echter Pluralismus
des politischen Denkens und der politologischen Zielvorstellungen erst noch
erwachsen müsse. Vor diesem Hintergrund kommt er zu einer bemerkenswerten
Erkenntnis, die als Kern des Buches aufgefasst werden kann und von einiger
Stringenz zeugt: "Sich auf die korrupte Welt politisch einzulassen,
bedeutete, die Korrosion voranzutreiben und sich selbst tiefer in die Erbsünde
zu verwickeln, die die Moderne ist. Das Beste wäre deshalb, Winterschlaf zu
halten und zu warten - wenn nicht mit Heidegger auf die Rückkehr der Götter,
dann mit Deleuze auf die Philosophen, die die neue, echte Ontologie herstellen
werden." (8)
Eine echte, hier gleichsam platonische Ontologie - eingebettet in die echte
Pluralität des Politischen - rekurriert damit auf Sprache und Sitten als Kern
einer demokratischen Kulturgemeinschaft, die nur als solche einem Europa
kulturelle Pluralität zu verleihen in der Lage ist und in der Tradition Herders
(1744-1803) und Fichtes steht. Diesen Gedankengang allerdings expliziert Rasch
nicht weiter, um sich vielmehr dezidiert mit den Theorien Carl Schmitts
(1888-1985) zu befassen. Dennoch: Es handelt sich in Herders Schriften ebenso um
die Überwindung des flachen Rationalismus, der alle Völker und Zeiten meistern
und einschätzen will nach den Bildungsgedanken der eigenen Zeit und ihrer
vermeintlich erreichten Vernunfthöhe. Stattdessen erhalten wir das
geschichtliche Geschehen, das jeden Völkerzustand aus sich heraus wertet und
sie alle in ihrer Notwendigkeit erkennt. Hier liegt für die deutschen Denker
die eigentliche Vernunft. Herder ist damit Vordenker einer Phänomenologie des
politischen Geistes souveräner Völker. (Kühnemann, Eugen: Herder. München:
C.H. Beck-Verlag 1912, S. 336.)
Fichte betont analog die kulturelle Bildung der Nation als Vorstufe zur rein
menschlichen Bildung. (Fichte, Johann Gottlieb von: Reden an die deutsche
Nation. Historisch-politische Bibliothek, Berlin: Verlag von L. Heimann 1869.)
Er synthetisiert Weltbürgertum und Patriotismus mit dem Ziel der Organisation
menschlicher Gesellschaft nach dem Bilde der Vernunft und der Maxime
staatspolitischer Unabhängigkeit. Damit spricht er sich für einen
bürgerlichen Patriotismus von Menschen gleicher Sprache und Kultur als
mikrokosmischer Prämisse für einen menschheitlichen Makrokosmos aus, ohne die
Souveränität der Völker selbst zu leugnen. Hier - nicht nur bei Carl Schmitt
- hätte Rasch seine eigenen Thesen bestätigt gefunden.
Wie dem auch sei - die resoluten Argumentationen Raschs bleiben ein
erfrischendes Leseerlebnis im Dickicht vermeintlich "korrekten"
Denkens der Gegenwart, das sich unbemerkt damit bereits selbst wieder
universalisiert, definiert es doch Ketzer und Dissidenten. Nur sind aus den
damaligen für Ketzer aufgetürmten physischen Scheiterhaufen heute die subtil
auftretenden sozialen Scheiterhaufen zur Vernichtung kontroversen Denkens
jedweder Art geworden.
Dessen ungeachtet versäumt es Rasch nicht, sodann gerade die Beziehung zwischen
dem deutschen philosophischen Ausnahmegeist mit seiner idealistischen Tradition
in seinem Kapitel zum "gerechten Krieg" (130) zu erwähnen und
zugleich die Korrelation zur Geistesgeschichte der deutschen
Nachkriegesdemokratie ab 1945 herzustellen. Dieselbe sei gerade zwecks
neoliberaler Normalisierung nach 1945 auf die strikte Vermeidung historisch
verorteter philosophischer oder politischer Sonderwege bedacht gewesen. (132)
Man könnte bestätigend ausführen: Während Kants kategorischer Imperativ als
Ursprung eines wahrlich moralischen Gesetzes in Deutschland - als deutscher
‚Nomos’ - galt, erschuf Jürgen Habermas als normativistischer Exeget der
geistigen Grundlagen des Nachkriegsdeutschlands den so genannten
"herrschaftsfreien" diskursiven Imperativ, der sich zugleich der
Hybris preisgab, den "neuen" moralischen und rechtlich-hegemonialen
Universalismus des "Westens" für Deutschland genießbar zu machen, um
diesen zudem in den Dienst staatslegitimatorischer Herrschaftsaffirmation und
Westbindung zu stellen. Es ist dies der Monismus des Rechts und des Politischen,
der den ‚Nomos’ souveräner Nationalstaaten zerstörte. Rasch spricht dabei
trefflich vom "Imperialismus des moralischen Universalismus". (150)
Erfreulich ist die Verwegenheit, mit der er in diesem Buch Thesen vertritt,
derer sich zu enthalten ein Europäer wohl beraten gewesen wäre. Und dennoch:
Rasch liegt erstaunlich richtig. Mit der weiten Verwendung des Wortes
"Diskurs" stellte sich tatsächlich eine Modeerscheinung im Zuge der
Anpassung an die sich universalisierenden "westlichen Demokratien"
dar, die die "diskursive" Lebenswelt rationalisierte und trotzdem das
aus der Habermas-Luhmann-Debatte des 20. Jahrhunderts herrührende Problem des
Übergangs vom Handeln zum interpersonalen sozialen und damit auch dezidiert
politischen System nicht löste, weil sie den Reflexions-Gesichtspunkt sozialer
Realität - die Reflexion auf das konkret Eigene des Denkens - völlig
ignorierte. (Vgl. dazu Heinrichs, Johannes: Logik des Sozialen. Woraus
Gesellschaft entsteht. Aktualisierte Neuausgabe von "Reflexion als soziales
System", Varna: Steno Verlag 2005, S. 265.)
Seit es die Frage der Verfassungsform gibt, sind zudem auch geographische
Faktoren ins Feld geführt worden. Auch die im Sinne Heideggers (1889-1976)
einmalig entstandene "griechische Polis" - die erste Demokratie der
Antike - ist nicht ohne die zerklüftete Insellandschaft Griechenlands zu
denken. Die politische Geschichte eines Volkes ist eine Frage der Geopolitik und
spezieller ‚Völkerpsychologien’. Der Staat erklärt sich danach vorrangig
durch die Vorstellungskraft, durch die Ideen der in einem Staat befindlichen
Menschen. Er existiert ausschließlich im Geiste eines jeden Einzelnen.
Montesquieu (1689-1755) geht in seinem Werk "Vom Geist der Gesetze"
(1750) sogar soweit, diese ideelle Sphäre dafür verantwortlich zu machen, daß
es überhaupt jeweils exklusive und variierende Verfassungsformen in der Welt
gibt. Sie sind das Ergebnis menschlichen Wesens, das zu erfassen Rasch selbst in
seinem letzten Kapitel über "Geopolitik" versucht. (172) Geopolitik
erscheint ihm hier nicht im Sinne einer bisher reproduzierten Negativfolie
dieses Begriffes, sondern als ein solchermaßen lageanalytisches Bewußtsein,
das die Lösung des Theorie-Praxis-Problems und die realistische Ausrichtung von
Forschung auf der Basis des Erwägens von Ursache und Wirkung anstelle einer
wertezentrierten Ausrichtung an Schuld und Sühne beherzigt. Etwas irreführend
ist, daß der Autor gerade hier wiederum in Permanenz auf Cal Schmitt
zurückgreift, so daß wohl in dem Buch die ausdrückliche Exegese schmittscher
Texte dem Autoren recht wichtig war.
Auch dieser an allen deutschen Verfassungsschöpfungen des 20. Jahrhunderts
wesentlich beteiligte deutsche Staatsrechtler erkennt die Unterschiede
jeweiliger Verfassungsformen an, indem er die Verfassung eines Landes jenseits
des universalisierten Einheitsschemas als ‚Nomos’ bezeichnet. Damit gibt er
den Urquell des womöglich auch von Georg Quabbe befürworteten und gewachsenen
Staatsverständnisses wieder, das keine als "schlecht" proklamierte
Verfassungsformen kennt, sondern nur jeweils in einem unterschiedlichen Prozeß
gewachsene differierende Staatsformen: "Nomos ist das den Grund und Boden
der Erde in einer bestimmten Ordnung einteilende und verortete Maß und die
damit gegebene Gestalt der politischen, sozialen und religiösen Ordnung. Maß,
Ordnung und Gestalt bilden hier eine raumhaft konkrete Einheit." (Schmitt,
Carl: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin:
Verlag Duncker & Humblot 1996, S. 40.)
Gerade diese Haltung ist eine spezifisch deutsche, die zu betonen selbst Rasch
nicht müde wird, wenn er meint, daß entgegengesetzt der eigenen Tradition der
deutsche Konservative - gezwungenermaßen - die Besonderheiten der deutschen
politischen Philosophie dennoch zu negieren bereit sei, um die Deutschen gerade
für einen globalen Universalismus so annehmbar wie alle anderen zu machen,
wohingegen Jürgen Habermas darum gekämpft habe, das Andenken an Deutschlands
außergewöhnlich böse Vergangenheit zu bewahren, damit zeitgenössische
Deutsche ihr Deutschtum leugnen und "sich im Glanz einer beispielhaft
universalistischen Gegenwart sonnen können." (155) Rasch versäumt es,
darauf hinzuweisen, dass Habermas implizit eine Besonderheit der traditionellen
deutschen Denkart zugibt. Wahre Pluralität ist also ohne den ‚Nomos’ der
Völker, die durchaus der Gewalt des konstruktiven Konflikts zwischen den
Volksgeistern untereinander preisgegeben sein können, undenkbar.
Diese Sicht ergänzt sich bei Rasch um die Gewißheit, "daß sich das
Politische als ein Bereich begründet, in dem diese Gewalt zwar eingedämmt,
begrenzt und umgeleitet, jedoch niemals ganz abgeschafft werden kann." (38)
Genau hier beginnt auch das höhere und integrative Reflexionsniveau und damit
das konservative Element im Buche Raschs. Es weiß, daß die Wirklichkeit der
Gewalt und des Konflikts durch den Menschen anerkannt werden muß, zugleich aber
auch als theoretisch konstruiert verstanden werden sollte, bevor sie praktisch
erfahrbar wird. Diese theoretische Konstruktion richtet sich zwangsläufig auf
die empirische Praxis. Im Sinne dieser Konvergenz von Idealität und
Empirizität ist bei Rasch die Orientierung an geistig-seelischen Kraftzentren
und Eigenheiten des Denkens, die Orientierung an dem erwähnten
landesspezifischen ‚Nomos’, zu verstehen. Ideelle ‚Nomosstrukturen’ sind
somit für die Formung der materiellen Welt, für die Staatswirklichkeit und
ihre Konflikte, grundlegend.
Diese metaphysische Komponente von Politik, Konflikt und Staat steht gerade in
Deutschland traditionell im Gegensatz zu einer Demokratie-Verordnung, und es
kann als Leistung Raschs gelten, den Mut zu besitzen, solche unzeitgemäßen
Reflexionen in die "herrschaftsfreie" Ignoranz des bundesdeutschen
Wissenschaftsbetriebes wieder eingeführt zu haben, was eigentlich lediglich dem
Prinzip der funktionalen und geistigen Differenzierung als Organisationsprinzip
der Moderne im eigentlichen Sinne Rechnung trägt. Kurz: Der moderne
"Demokrat" ist nicht so modern, wie er scheint. Der Sozialphilosoph
Johannes Heinrichs überträgt das Differenzierungsprinzip in seinen Schriften
konsequent auf die gesamte Idee der Demokratie und geißelt ähnlich wie Rasch
den normativen Universalismus Amerikas als kulturfremde Mogelpackung.
(Heinrichs, Johannes: Revolution der Demokratie. Eine Realutopie. Berlin:
Maas-Media-Verlag 2003.)
Es tut sich also etwas in der politischen Philosophie. Daß sich politisches
Denken und politische Ordnung immer raumhaft konkret verkünden, scheint sogar
in Deutschland wieder zunehmend anerkannt zu werden. Einst
"dissidente" Denker und verschollene Fürsprecher überdauernder
‚Nomosstrukturen’ wie Georges Sorel (1847-1922), Oswald Spengler (1880-1936)
oder Arnold Gehlen (1904-1976) erfahren eine erstaunliche Renaissance und finden
unter jungen Wissenschaftlern begeisterte Rezipienten. (Vgl. dazu Bigalke,
Daniel: Die Kraft des Überdauernden und ihre verschollenen Fürsprecher. Die
Reihe "Perspektiven" der "Edition Antaios", in:
Philosophischer Literaturanzeiger, Band 59, Heft 3/4, Frankfurt/M.:
Klostermann-Verlag 2006, S. 343-358. ) Rasch schließt sein Werk mit dem
entsprechenden Hinweis darauf, daß die Universalität eines so genannten
Diskursprinzips der "moralisierenden Hybris eines Rawls oder Habermas"
(203) Vorschub geleistet habe. Die Habermas-Epoche aber - so bleibt
weiterdenkend zu bilanzieren - ist vorüber. Mit dieser Erkenntnis, daß
Menschlichkeit hingegen eine konkret zu lebende Tatsache und kein
universalisierbarer Wert ist, kommt diese markante Studie, von der die
politische Philosophie und Politologie der Gegenwart bei entsprechender Reife im
Reflexionsvermögen profitieren könnte, zu einem gelungenen Ende.
Daniel Bigalke, Dipl.Pol.
Fazit
Die Studie von William Rasch bietet unzeitgemäßte und deshalb spannende
Reflexionen über die Möglichkeit grundlegender Opposition als Modus einer
natürlichen politischen Grundhaltung, die zugleich geistige Selbsterhaltung
bedeutet.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
[Profil]
veröffentlicht am 31. März 2007 2007-03-31 17:55:43