Karl May hat sich - nachdem er mit Abenteuerromanen wie "Durch die
Wüste" im Orient und dem berühmten "Winnetou" im "Wilden
Westen" spielend, berühmt geworden war, nach Aufdeckung seiner früheren
Straftaten (er saß unter anderem wegen Uhrendiebstahls im Gefängnis) der
sogenannten "Symbolik" zugewandt. Sein Alterswerk - der Fantasyroman
"Ardistan und Dschinnistan" aber auch schon der Schlussteil des
"Silberlöwen" (Band 26-29 der "Gesammelten Werke, hier Band 28
und 29) sind autobiographische Werke, symbolisch verkleidet. Die Schurken im
Roman sind seine menschlichen Gegenspieler der Prozesse nach 1900. Um von der
Erinnerung an seine Vergangenheit "loszukommen" und nicht erneut als
"Lügner" dazustehen (er hatte in den 1890-ger Jahren behauptet, seine
Helden Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi sei er tatsächlich selber gewesen),
reagierte er nach Enthüllungen über seine Vergangenheit sehr radikal: er
trennte sich von seiner ersten Frau Emma, heiratete erneut mit Klara Plöhn eine
Frau, die ihn in der Wendung seines Schaffens zur Symbolik unterstützte.
Nun hat diese Wendung zur Symbolik viele May-Fans verstört. Sie wollten, dass
Karl May in seiner früheren Form "weiterschrieb", sie wollten
"lebendige", "lebensechte" Schurken wie Santer oder To Kei
Chun erleben und keinen an Dostojewskis Großinquisitor angelehnten Ahriman
Mirza, den luziferischen Gegenspieler Karl Mays aus den letzten beiden Bänden
des "Silberlöwen".
Im Karl May Verlag gab es viele Mitarbeiter, etwa Franz Kandolf, der Band 50
"In Mekka" verfasste und zahlreiche Werke Karl Mays bearbeitete, die
der Auffassung waren, Karl May wäre wohl besser bei seiner früheren
Schreibweise geblieben. "In Mekka" ist daher auch vollkommen im Stile
der früheren Abenteuerromane verfasst (als Fortsetzung zum ersten Band des
Alterswerkes: "Am Jenseits", welches die Trendwende zur Symbolik
einleitete).
"In Mekka" ist ganz im Stile der früheren Reiseerzählungen Karl Mays
geschrieben. So wurde der unvollendete Roman "Am Jenseits" doch noch
vollendet - aber eben nicht im Sinne und nach den Erwartungen des späten Karl
May, wie auch vielfach kritisiert worden ist.
Ganz ähnlich ist es mit den "Sillan", den "Schatten", einer
Verbrecherbande, die Karl May in Band 27: "Bei den Trümmern von
Babylon" in den Mittelpunkt einer sehr spannenden Handlung stellte. Die
unvermittelte Wendung zur Symbolik durchkreuzte allerdings die ursprünglichen
Pläne zur Fortsetzung des Werkes. Der "Bruch im Bau", wie es Otto
Eicke in einem Karl May Jahrbuch 1930 genannt hat, zog sich mitten durch die
letzten beiden Bände des "Silbernen Löwen", Band 28: "Im Reiche
des Silbernen Löwen" und Band 29: "Das versteinerte Gebet."
Während das erste Kapitel von Band 28 noch in Basra im Stile der alten
Reiseerzählungen geschrieben ist, beginnt mit dem Teil: "Am Tode",
dem 2. Kapitel die Hinwendung zur Symbolik. Otto Eicke und später Dr. Heinz
Grill wollten sich mit dieser Wendung der Ereignisse nicht abfinden: bereits um
1948 legte Dr. Grill den Band: "Die Schatten des Schah-in-Schah" vor,
der mittlerweile leider vergriffen und nur als E-Book erhältlich ist. Jetzt
wurde der bereits in den 1930-ger Jahren entstandene Roman: "Die
Verschwörung der Schatten" von Eicke, der zahlreiche Werke Karl Mays
bearbeitet hat, ebenfalls publiziert.
"Eickes Ansatz in "Die Verschwörung der Schatten" war dem
Kandolfs in Band 50 ähnlich: keine theologischen, symbolischen und
metaphorischen Momente, sondern handfestes Abenteuer, " schreibt Christoph
F. Lorenz, ein führender Literaturwissenschaftler der Karl-May-Gesellschaft im
Nachwort des jetzt erschienenen Bandes von Eicke. "Während Kandolf die
Handlung um den Münedschi und seinen Quälgeist, den Ghani [Am Jenseits, Bd.
25, B.N.], so weiterführte, dass der blinde Mann als ehemaliger russischer
Offizier und Günstling des Schah-in-Schah "enttarnt" wurde und die
Verbrechen des "Mekkaners" gesühnt wurden, stellte Eicke die
"Sillan" nicht als geisterhafte Phänomene des Bösen, sondern als
reale Verbrecher dar. Wo Eicke einerseits, anders als Heinz Grill, den
geografischen, ethnologischen und linguistischen Momenten der Handlung weniger
Beachtung schenkte und auch das Politische eher vernachlässigte, so zeichnet
sich Die Verschwörung der Schatten andererseits durch Spannung, plastisch
gezeichnete Charaktere und manche neue Einfälle aus, etwa die "Hüter des
Lichts", die Eicke in die Romangeschehnisse einführte."
So weit Christoph F. Lorenz im Nachwort. Der Roman Eickes war jedoch im
Karl-May-Verlag zu recht umstritten, Mitarbeiter hatten wohl nicht unerhebliche
Kritik am Manuskript von Otto Eicke geäußert.
Das Buch hat durchaus Schwächen. Anders als bei Bearbeitungen - etwa Grills
oder Kandolfs - merkt man als Leser doch, dass hier Karl May imitiert wird und
letztlich fehlt das "Karl-May-Feeling" seiner früheren
Abenteuerromane. Ernst Bloch hat - m.E. durchaus zu recht - Karl May einen der
besten deutschen Erzähler genannt; ich finde dies auch. Die Verschwörung der
Schatten ist stellenweise durchaus interessant und packend geschrieben; dies
gilt meiner Meinung nach aber vor allem für die erste Hälfte. Im zweiten Teil
- nicht umsonst hat hier der Karl May Verlag einen von einem Dritten - Kurt
Rietsch - verfassten Einschub von ca. 20 Seiten mit eingebaut - gleitet der an
sich spannende Roman ins Triviale im Stile von Karl Mays früheren
Kolportageromanen ab. Auch Otto Eicke galt als Kolportageschriftsteller. Das
Ende selber kommt zu abrupt, d.h. die Proportionen scheinen mir nicht recht
stimmig zu sein. Einer Liebesgeschichte von Nebenfiguren - für die
Haupthandlung entbehrenswert - wird gegen Ende (Kapitel: "Im Haus
Ghulams" und "Eine geheime Zusammenkunft") zu viel Raum
eingeräumt, das Ende ist zwar spannend aber es kommt doch zu plötzlich. Als
"Deus ex machina" tauchen plötzlich persische Regierungstruppen auf,
die den "Bund der Sillan" an seinem geheimen Versammlungsort
vernichten. Eickes Kara Ben Nemsi wirkt hier bei weintem nicht so omnipotent und
damit fehlerlos wie der "Held" in Karl May, was ihn allerdings dadurch
menschlicher und sympathischer macht. Einen Bären beispielsweise darf der allen
May-Lesern bekannte Begleiter Kara Ben Nemsis, Hadschi Halef Omar, erlegen und
seinem "Sihdi" damit das Leben retten. Die Figur Halefs ist mit seinen
prahlerischen, aber letztlich liebenswerten Übertreibungen recht gut gelungen
und ähnelt dem Orignal Mays sehr. Seine Wandlung zur "Anima", einem
Symbol für die fehlerhaften Triebe im Menschen, zu dem der späte Karl May und
Klara May Halef machen wollten, hatte mich nie so recht überzeugen können. Der
lebensecht gezeichnete Hadschi Halef Omar der sechs Orientbände war mir immer
bedeutend lieber gewesen.
Trotzdem bleibt interessant, zu sehen, wie die spannende, im Stile der früheren
Orientbände gehaltene, Abenteuer- und Verbrechergeschichte wohl hätte ausgehen
können, wenn Karl May seine frühere Schreibweise beibehalten hätte. Ein
"Opfer" der späten Mayschen Hinwendung zur Symbolik, der spleenige
Engländer Sir David Lindsay, der in Band 28 kurzzeitig wieder eingeführt wird,
nur um dann von seinen Verwandten auf ein Schiff entführt zu werden und für
immer zu verschwinden, weil er in Mays neuem Weltbild und seiner gewandelten
Vorstellung vom Ende des Romans keinen Platz mehr hatte, kommt hier zur
Geltung.
Keine Frage auch, dass Grills Band meines Erachtens der literarisch bessere ist;
nicht umsonst wurde er vor Eicke vom Karl May Verlag publiziert. Grill selber
soll Eickes Manuskript gekannt und von ihm zu seinem Roman angeregt worden sein,
weil er Eickes "Fortsetzung" nicht mochte.
Dies zeigt aber, wie Karl Mays Werk Epigonen - Jörg Kastner, der bekannte Autor
historischer Romane hat jüngst einen - ebenfalls im Karl-May-Verlag
publizierten - Roman: "Hadschi Halef Omar" verfasst, in welchem es um
die erste Begegnung von Kara Ben Nemsi und seinem späteren Diener und Freund
geht, Epigonen angeregt hat. Außerdem zeigt Eicke, wie Mays
"Schattenroman" hätte enden können, "wenn sie geschwiegen
hätten" (so ein Aufsatz Eickes über Karl May aus dem Jahre 1928 ), wenn
also Mays Gegner nicht auf den Plan getreten wären und mit dazu beigetragen
hätten (nicht nur, wie Eicke irrtümlich meinte und wie es Walther Ilmer in
seinem Aufsatz: "Mißglückte Reise nach Persien: Gedanken zum
"großen Umbruch im Werk Karl Mays" (in: Dieter Sudhoff/Hartmut
Vollmer (Hg). Karl Mays "Im Reiche des silbernen Löwen" Paderborn:
Igel-Verl., 1993, S. 118-151 richtig gestellt hat), dass sich Karl May von
seiner früheren Schreibweise abwendete und der Symbolik zuwendete, somit aber
Wege ging, der er wohl ursprünglich nicht geplant hatte. Wie die ursprüngliche
Planung möglicherweise ausgesehen hätte - dies zeigen die "Epigonen"
von Mays Werken: Franz Kandolf mit "In Mekka", Heinz Grill mit
"Die Schatten des Schah-in-Schah" und jetzt Otto Eicke mit "Die
Verschwörung der Schatten".
Fazit
Auch wenn letzteres meines Erachtens nur teilweise gelungen ist, so ist es doch
interessant zu sehen, wie Karl Mays Abenteuerroman um die "Sillan"
hätte enden können - wäre er bei seiner abenteuerlichen Schreibweise im Stile
seiner früheren "Reiseerzählungen" geblieben.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. September 2015 2015-09-28 21:41:04