Arthur Schnitzlers "Therese" ist eines der berührendsten und
schönsten Bücher, die ich bis heute gelesen habe. Ein beeindruckender, jedoch
immer sanfter, schnörkelloser, wunderschöner Erzählfluss, gepaart mit einem
Gesellschaftspanorama des ausklingenden (österreichischen) 19. Jahrhunderts,
und der sehr charmanten, zugleich dekadenten Atmosphäre Wiens. 1880, mit der
16jährigen Therese Fabiani, beginnt, was 30 Jahre und 106 Erzählabschnitte
später tragisch, fast melodramatisch endet. Zwar kommt Therese aus
gutbürgerlichem Haus, doch ist dieses von eigenem Untergang gezeichnet. Ihr
Vater, Oberstleutnant a. D., erleidet eine gesitige Verwirrung, stirbt nach
Jahren armen Dahindämmers; ihre Mutter, nach der Erkrankung des Vaters besorgt
um den gemeinsamen Lebensunterhalt, fängt an, dürftige Frauenromane zu
schreiben, die in Boulevardblättern gedruckt werden. Therese, die für sich
keine Zukunft mehr sieht in Salzburg, zieht ins große Wien und findet dort
schnell Anstellung als Erzieherin in privilegierten Familien, in denen kaum zu
verhehlende Konflikte immer wieder dazu führen, daß Therese kündigt bzw.
gekündigt wird. In keiner Episode ihres Lebens kehrt Ruhe oder Stabilität ein,
entweder nimmt eine neue Liebschaft sie mit, oder ihr "unwirscher"
Sohn Franz ("ein rechtes Bauernkind") belästigt sie, oder sie kämpft
mit ihrer letzten Entlassung, hat sie doch wieder einmal die zu erziehenden
Kinder zu lieb gewonnen, oder Sorgen hindern sie daran, "zu einem richtigen
Sichbesinnen zu gelangen", wie es im Buch heißt; ihr Sehnen "nach
Ruhe, nach Heimat, nach einer eigenen Häuslichkeit" bleibt unerfüllt.
Fazit
Berührt an Schnitzlers "Chronik eines Frauenlebens" haben mich: die
seltsam schöne Teilnahmslosigkeit Thereses am Verfall (insbesondere verwüstete
Ehen, zerrüttete Familien) um ihr herum ("Sie war niemals im eigentlichen
Sinne gläubig gewesen. Als Kind und junges Mädchen hatte sie an allen
vorgeschriebenen Religionsübungen mit Beflissenheit, aber ohne tieferes
Ergriffensein teilgenommen", "Vor allem hütete sie sich, ihr Herz an
die jungen Wesen zu hängen, deren Erziehung ihr überantwortet war; eine Art
von kühler Mütterlichkeit, die sie beinahe nach Belieben ein paar Grade höher
oder niederer stellen konnte, blieb die Grundstimmung dieser Beziehungen",
) und ihre, wenn man so will, optimistischen Anfälle, die ihren Tod mehr
verdüstern als aufhellen.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 23. Februar 2004 2004-02-23 13:38:07