Die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine Zeitung hat anläßlich des 200.
Todestages von Immanuel Kant im Februar 2004 völlig zu recht bemerkt: "Was
ihn [Kant] heute so attraktiv macht, sind eher die Ideen, die er in der Schrift:
"Zum ewigen Frieden" formulierte. Da geht es um die Perspektive eines
aufgeklärten Weltbürgertums, dessen moralische Prinzipien in gültiges Recht
gekossen werden." Gerade in der Debatte um den Irak-Krieg wurde diese - bis
heute - wichtigste Schrift Kants immer wieder zitiert. Robert Kagan hat in
seinem Buch: ""Macht und Ohnmacht: Amerika und Europa in der neuen
Weltordnung" Europa vorgeworfen, dass die Europäer, die das Völkerrecht
als bindend ansehen, sich auf Kants Schrift beriefen, während für die
Amerikaner Hobbes bindend sei. Die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine
bilanziert: "Alle, die ein universales Rechtssystem anstreben, finden bei
Kant ihre Legitimation. Der Kern dessen, was wir heute die europäischen Werte
nennen" findet sich in seiner Schrift: "Zum ewigen Frieden."
Oliver Eberl hat in seinem - hervorragenden Aufsatz: "Realismus des Rechts:
Kants Beitrag zum internationalen Frieden" in den "Blättern für
deutsche und internationale Politik" Heft Februar 2004 zu recht darauf
verwiesen, dass Kant durch und durch Realist gewesen ist und man daher von einem
"Realismus des Rechts" sprechen könne. Dagegen entpuppe sich der
Realismus Robert Kagans und anderer zunehmend als ein naiver "Idealismus
der Macht". Gerade Kant ist in seiner Schrift über Saint-Pierres
idealistischen Friedensentwurf hinweggegangen und hat jenen Entwurf nicht nur
kritisch gelesen, sondern verarbeitet und reflektiert. Eberl zeigt am Beispiel
des Irak-Krieges die Wichtigkeit und den Realismus von Kants Werk auf. Die
Schrift "Zum ewigen Frieden" entwirft gerade keine Utopie. Sie ist
nicht rein idealistisch-moralisch orientiert, sondern immer zuerst Rechtslehre.
Kant zeichnet ein Bild der Menschen, dass diesem zwar Vernunftbegabung
zuspricht, sie aber keineswegs als moralisch "gut" bewertet. Die
Firedensschrift zielt nicht nur auf den Frieden, sie befasst sich auch mit der
inneren Verfasstheit der Gesellschaften, bezieht Demokratie und Menschenrechte
mit ein. Die in der Politikwissenschaft in den sogenannten "Internationalen
Beziehungen" gelehrte Lehre vom Liberalismus (Schule um Czempiel) bezieht
ihre Auffassungen im wesentlichen von der Schrift von Kant. Insofern ist es am
200. Todestag dieses für mich größten Philosophen der Neuzeit durchaus
angebracht, an seine wichtigste Schrift zu erinnern: "Zum ewigen
Frieden". Eine hervorragende Interpretation dieser Schrift gibt natürlich
der obige Aufsatz von Oliver Ebel, da er die aktuellen Ereignisse des
Irak-Krieges mit einbezieht.
Wer aber noch tiefer in die Analyse dieses Klassikers einsteigen möchte, dem
sei dieser Sammelband des hervorragenden Kant-Kenners Otfried Höffe empfohlen.
höffe selber beschäftigt sich mit dem vernachlässigten Ideal des Friedens,
Jean-Christophe Merle legt eine Geschichte des Friedensbegriffs vor Kant dar,
wobei er Antike und Mittelalter ebenso einbezieht wie Reformation und
Naturrecht. Hans Saner untersucht die negativen Bedingungen des Friedens und
geht dabei auf den Anlass der Schrift Kants, den Baseler Frieden zwischen
Frankreich und Preußen ein und zeigt den Unterschied zwischen Verträgen und
Kants Intention auf, der im Gegensatz dazu keinen Mustervertrag für
Friedensverträge vorlegen wollte, sondern "den Krieg in den Frieen"
überführen will. Kant geht es um Bedingungen, dauerhaften Frieden zu schaffen.
Weitere Beiträge in dem Sammelband untersuchen das "Problem der
Erlaubnisgesetze im Spätwerk Kants" (Reinhard Brandt), die notwendigen
Elemente einer republikanischen Verfassung in: "Die bürgerliche Verfassung
in jedem Staate soll republikanisch sein" (Wolfgang Kersting), die Frage,
ob es einen Völkerbund (von Kant befürwortet) oder eine Weltrepublik (von Kant
abgelehnt) geben soll (Otfried Höffe). Hier hat in dem oben zitierten Aufsatz
auch Eberl ganz klar den Realismus von Kants Lösungsvorschlag herausgearbeitet:
eine Weltrepublik wäre ein Zwangstaat, so Eberl in Anlehnung an Kant, der mit
seiner Anmaßung globaler Gewalt notwendigerweise Widerspruch hervorrufen
müsse, während ein Völkerbund (nach diesem Vorbild entstand die heutige UNO)
den Vorteil der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses habe. Nur ein solcher
verspräche die Anerkennung des globalen Rechtes - wie man ja derzeit an den
Schwierigkeiten im Irak feststellen kann (so Eberl korrekt). Auch Höffe betont
in seinem Beitrag die Notwendigkeit einer sanktionsbedingten Rechtsordnung, also
einer gewissen Staatlichkeit. Und ist es nicht der allerorts zu beobachtende
Staatszerfall einerseits wie auch Beobachtungen eines demokratisch nicht zu
kontrollierenden Weltstaates, der zum Despotismus neigt (so Ingeborg Maus:
"Vom Nationalstaat zum Globalstaat oder: Der Niedergang der
Demokratie" in: "Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee
einer Weltrepublik, 2002, zit. nach Eberl), die zeigt, wie aktuell und real
Kants Überlegungen sind? Diese zeitlose Aktualität Kants wird auch in den
weiteren Beiträgen dieses Sammelbandes deutlich. So untersucht Reinhard Brandt
das "Weltbürgerrecht", Pierre Laberge beschreibt die inneren und
äußeren Bedingungen des "ewigen Friedens", wobei er im Kapitel:
"Der äußere Krieg" auch den sogenannten Neorealismus, eine Theorie
in den Internationalen Beziehungen, mit in die Untersuchung einbezieht. Volker
Gernhardt untersucht in seinem Beitrag: "Der Thronverzicht der
Philosophie" das Verhältnis von Philosophie und Politik bei Kant und
zeigt, dass sich Kant der systematischen Differenz zwischen philosophischer
Theorie und pragmatischen [politischen] Handeln bewußt gewesen ist, was auch
für seinen Realismus spricht. Monique Castillo untersucht dieses
Spannungsverhältnis in ihrem Beitrag:"Moral und Politik: Misshelligkeit
und Einhelligkeit". Michael W. Doyle, einer der Begründer der Theorie des
"Demokratischen Friedens" in den Internationalen Beziehungen,
vergleicht in seinem Aufsatz: "Die Stimme der Völker" die Theorien
von Thukydides, Rousseau, Kant und Schumpeter, allesamt Verfechter einer
demokratischen und repräsentativen Regierungsform, miteinander und die Frage,
inwieweit Demokratie und Mehrheitsprinzip Bedingungen füreinen Friedenszustand
sein mögen und ob die Theorie des Demokratischen Friedens daher zutreffe oder
nicht. Willfähigkeit, Kreuzzugsmentalität und übersteigerte Verfolgungsangst
seien kriegsfördernde und friedenshemmende Bedingungen. Versäumnisse in jedem
dieser drei Bereiche könnten unsere friedlichen Aussichten daher "radikal
verändern" (S. 242). Abschließend unterscuht Otfried Höffe in einem
faszinierenden Aufsatz, inwieweit die Vereinten Nationen der eines Völkerbundes
im Sinne Kants entspräche, wobei er eine "halbierte Übereinstimmung"
der Ziele und Ideen der UN mit Kants Vorstellungen konstatiert (S. 249).
Fazit
Insgesamt eine faszinierende Interpretationsschrift, die zeigt, welch bleibende
Aktualität Kants Schrift vom ewigen Frieden auch heute noch - gerade nach den
Ereignissen des Irak-Krieges - besitzt. Der zitierte Aufsatz von Eberl in den
"Blättern" sollte unbedingt als Ergänzung zu den vorliegenden
Aufsätzen gelesen werden. Sie zeigt die Wichtigkeit und Realitätsnähe von
Kant auch in der heutigen Zeit auf.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 18. Februar 2004 2004-02-18 20:30:41