"Kühn hat zu tun" ist mein vierter Roman. Die ersten Leser meinten
sofort, das sei ein Krimi. Der gleichen Ansicht war auch mein damaliger Verleger
Alexander Fest, als ich ihm vor drei Jahren die ganze Geschichte beim Essen
erzählte. Ich berichtete von diesem Mann, dem ständig die Gedanken im Kopf
herumsausen, der sich auf nichts mehr richtig konzentrieren kann und deshalb
auch keine Entscheidungen mehr zu treffen in der Lage ist. Ich erzählte von dem
quälenden Zustand dieses Gedankenstroms und wie der Mann darüber allmählich
in eine Lebenskrise gerät. Und ich erzählte ihm, dass er Polizist sei und in
einem Neubauviertel mit seiner Familie lebe. Seine Frau und seine Kinder machen
ihm Probleme, er kann sich kein neues Auto leisten und irgendwas im Keller
seines Hauses kommt ihm komisch vor. Und dann muss er auch noch einen Mord
aufklären. Das Buch handelt von der wachsenden Überforderung durch den Alltag
und ich finde, das Problem haben viele Menschen in vielen Berufen." (Jan
Weiler auf seiner Homepage)
Mit diesen Worten charakterisiert Jan Weiler sein neues Buch "Kühn hat zu
tun." Der Protagonist, der 44 Jahre alte Kriminalhauptkommissar lebt in
einer tristen Neubausiedlung, und wenn er morgens unter der Dusche steht, dann
rechnet er durch, warum das Geld hinten und vorne nicht reicht. Die Tochter will
ein Pony, die Gartenmöbel sind nicht abbezahlt, das Auto ist kaputt. Und obwohl
er jeden Mörder zum Reden bringt, gelingt es ihm nicht, mit seinem Sohn ins
Gespräch zu kommen, der offensichtlich mit Neonazis sympathisiert. Kühn muss
sich mit vielen Sorgen rumschlagen, doch dann wird auch noch direkt hinter
seinem Haus die Leiche eines alten Mannes gefunden. Er wurde gefoltert und
erstochen. Ein intelligenter Serienmörder treibt offenbar sein Unwesen. Und
dann wird noch ein Mädchen aus der Nachbarschaft entführt. Hängen beide
Fälle miteinander zusammen?
Das Buch ist in erster Linie kein Krimi, sondern - mich hier sehr an Hans-Werner
Kettenbachs "Davids Rache" erinnernd, die präzise Schilderung des
Alltags deutscher Durchschnittsbürger. Die Krimihandlung ergibt sich eher
"nebenbei" - und dies merkt man sehr deutlich. Die beiden
Kriminalfälle, die sich innerhalb des Erzählzeitraums von einer Woche
ereignen, sind nicht Haupthandlung des Buches, deren Auflösung meines Erachtens
auch sehr vorhersehbar.
Die Stärke dieses Buches ergibt sich aus seiner Sozialkritik. Die
Entstehungsgeschichte der Siedlung, in einem Vorkapitel dargestellt, geht in die
Zeit des Nationalsozialismus zurück. Ein Munitionsfabrikant sprengte seine
Fabrik in den letzten Kriegstagen in die Luft; die Chemikalien sickerten in den
Boden ein. Die "Weberhöhe", wie dieses Gebiet genannt wird, verfolgt
ihre Vergangenheit bis in die Gegenwart - denn buchstäblich alle Keller der
Siedlung sind verseucht und es steht zu erwarten - das Ende bleibt hier offen -
dass die Bewohner hier nicht weiterleben können und wegziehen müssen.
Zudem haben die Bewohner der Siedlung ebenfalls Probleme mit über 2000
Flüchtlingen, die aus allen Erdteilen in diesem Viertel ansiedeln. Die
Probleme, die sich aus dem Ziel, eine multikkulturelle Gesellschaft in diesem
Viertel zu schaffen, ergeben (nach anfänglicher Akzeptanz führt das
Zusammenleben zwischen den Nationen zu Hass und Intoleranz und sogar einem
Toten), werden plastisch geschildert; auch Kühn kommt damit in Berührung, weil
sein 16jähriger Sohn aus Protest gegen die zahlreichen Migranten in die
rechtsradikale Szene abrutscht. Das Kapitel "Lilith mit der detaillieten
Schilderung des Alltags dieser Siedlung und der Reaktionen der Menschen auf den
Zuzug der Flüchlinge gehört zu den stilistischen Höhepunkten dieses
Gesellschaftsromans. Auch ein zweites Thema in unserer Gesellschaft, die
wachsenden Anforderungen des Einzelnen an seinen Beruf, werden thematisiert; der
Kommissar zeigt Symptome eines "Burn-Outs", zahlreiche Erinnerungen
stürmen auf ihn ein; er kann sie aber nicht ordnen und kommt nicht zur
"Ruhe". Das es dafür einen Grund gibt, wird im Laufe des Buches klar
und hängt eng mit der Lösung der beiden Fälle zusammen. Hier verknüpft sich
der Gesellschaftsroman mit dem Kriminalroman.
Aber: es handelt sich in der Tat um einen Gesellschaftsroman - weniger um einen
Krimi. Die Krimihandlung hat mich ehrlich gesagt enttäuscht; zu sehr merkt man
dem Autor an, dass es sich bei diesem Plot für ihn um eine
"Nebensache" handelt. Insofern mag es sein, dass Krimileser als
Zielgruppe von diesem Buch enttäuscht sein werden, da Handlung und Auflösung
des Falles - wie oben erwähnt - recht konstruiert erscheinen; zumindest ging es
mir so.
Fazit
Fazit: Leser der anderen Bücher Jan Weilers, in welchem wie in "Maria ihm
schmeckt`s nich" Migration und Integration ebenfalls zum "Thema"
gemacht werden, werden dieses Buch mögen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 02. Juli 2015 2015-07-02 20:56:00