Die Bedeutung der Compliance wird nach wie vor unterschätzt, im Betrieb mit
Ausnahme einiger MitarbeiterInnen und Beauftragten kaum, nach meinen Erfahrungen
überhaupt unbekannt. Ich selbst kannte ihn bis dato nur aus der Medizin
(verordnete Medikamente auch vorschriftsgemäß einzunehmen). Auslöser für die
Abfassung des Buches war ein Projekt, bei dem sich herausstellte, dass es noch
keine praxisorientierte Literatur gab.
Struktur:
- Vorwort
- Reichweite der Compliance (20 % der MitarbeiterInnen bisher erreicht)
- Ausgangslage (Randgebiete von Jus und BWL, Auswahl und Auftreten der
Compliance-Mitarbeiter)
- Spezielle Mitarbeitergruppen (Erfassung der 80 %, Ausbildungsniveau,
Migrationshintergrund, SpezialistInnen, Gruppen innerhalb des Unternehmens und
mit dem Unternehmen in Kontakt stehende Externe, informelle Multiplikatoren,
untere Führungsebene, Prioritäten)
- Anpassung des Auftritts (Wissensmanagement, Geben/Nehmen, Loyalität, Texte
und Schulungen, von der Gruppe zur Einzelansprache)
- Ansprechmöglichkeiten (Einstieg ins Unternehmen, Gesprächsangebot,
Rückkoppelung, ausscheidende MitarbeiterInnen, Eingreifen, Auswege,
Prüfungen)
- Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensfunktionen (Offene Compliance-Gruppe,
bestehende Kontroll- und Überwachungssysteme, Rolle als Aus- und
Weiterbildungsstation, der Whistleblower-Hotline, der Inneren Revision)
- Projektdurchführung (Projektverständnis, Reihenfolge, Organisation,
Zielgruppe = die 80 %, Unternehmensleitung)
- Fallstudie
- Relativ ausführliches Literaturverzeichnis
- Stichwortverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
Der Schriftgrad ist an sich sehr angenehm, der der Anmerkungen und des Anhangs
ist jedoch zu klein, so dass das Auge ermüdet, der Schrifttyp ist relativ
angenehm. Wichtiges ist fett unterlegt. Überschriften sind kursiv gedruckt,
leider so, dass das Auge ermüdet. Informative Grafiken ergänzen den Text.
Dieser ist sehr verständlich und anregend geschrieben. Eine abgeschlossene
kaufmännische Ausbildung oder eine AHS-Matura bzw. Abitur sind jedoch sehr von
Vorteil.
Positiv fiel mir auf:
- S. 15f, fett gedruckte Texte betr. den Zugang zu den relevanten Informationen,
die Verständlichkeit der Texte, die Angst, sich mit Wortmeldungen zu
blamieren.
- S. 43: Man spricht mit Menschen, nicht mit Abteilungen
- Verantwortliche für Compliance sollten so viel Charakter haben, ihrem
Vorgesetzten zu widersprechen.
- S. 44: Authentizität ist wichtig, dazu gehört, dass man sich bei manchen
Fragen unsicher ist.
- S. 47: Respekt zollt man allen Menschen, auch Untergebenen
- Macht kann einen Menschen sehr schnell zu dessen Nachteil verändern.
- S. 78ff: Der Hinweis auf die Gefahren bei Gruppen oder Herausbildung einer
Gruppencompliance
- S. 84ff: Der Hinweis auf die Bedeutung der Externen
- S. 107ff: Korruption fängt schon bei Kleinigkeiten an (Problematik der
Toleranzgrenzen und des Anfütterns)
- S. 178ff: Die Betonung der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen
(Personalwesen, Aus- und Weiterbildung, Interne Revision, Werkschutz,
Sicherheitsbeauftragte, Externe, Datenschutzbeauftrage, Personalentwicklung)
- S. 189f.: Der Vorschlag der Einrichtung einer Whistleblower-Hotline und
Darstellung der Rechtslage. Allerdings gibt es Fälle, wo an die Interne
Revision regelmäßig zu Denunziationen missbraucht wurde bzw. sich missbrauchen
ließ, etwa weil man sich am Vorgesetzten rächen wollte.
- Die Fallstudie am Schluss
- Während der Lektüre des Buches lernt man auch einiges über Psychologie
Einwände hätte ich bei folgenden Passagen:
- S. 22: Ist mit den "Paketen mit Anschrift" die Privatpost gemeint?
Dabei handelt es sich jedoch oft genug um eine Ersatzzustellung, da manche
Paketdienste nur tagsüber zustellen und es an der Privatadresse kein
Ersatzempfänger oder eine Hinterlegungsbox bzw. Paketshop gibt. Betr.
"Selbstbedienungsladen" muss auch eingewendet werden, dass man z. B.
bei Rückfragen auf Botengängen das private Handy verwendet bzw. verwenden
muss. Dabei sind die Handygebühren für PrivatkundInnen wesentlich höher als
die Telefongebühren für BusinesskundInenn, die angeblich ab einer gewissen
Firmenbröße bzw. einem bestimmten traffic sogar Pauschalverträge bekommen.
- S. 42: Es sollte alles schriftlich vereinbart werden. Mündliche Absprachen
sind laut Gesetz in Deutschland und Österreich gültig, in beiden Ländern
zählt wegen der Beweisbarkeit aber prinzipiell nur Schriftliches
- Die Aussagen zu den Personen mit Migrationshintergrund sind generell richtig,
ich stehe jedoch auf dem Standpunkt, dass sich jeder Einwanderer über Sitte,
Gebräuche und Gesetze bereits vor seiner Abreise bzw. wenn dies nicht möglich
ist, unmittelbar nach der Einreise zu informieren hat, er muss daher wissen, ob
sein Verhalten compliance-gerecht ist oder nicht und daher auch eine
Einbeziehung der Familie unnötig ist. Für Angehörige westlicher Staaten
werden im Ausland ja auch nicht derartige Sonderregelungen getroffen. Man sollte
hier genauso auf die Allgemeingültigkeit achten wie dies auch die
Herkunftsländer bei deren In- und Ausländern tun, dort gibt es z. B. keine
Sonderregelungen beim Dresscode oder den Arbeitszeiten. Außerdem gibt es nach
meinen Erfahrungen gerade für Spezialisten keine Sonderregelungen, sondern ist
bei diesen besonders hart.
- Warum muss der Bedienstete "Officer" heißen? "Referent"
würde in den DACH-Staaten viel besser passen.
Fazit
Insgesamt handelt es sich um ein unverzichtbares und praxisorientiertes Buch
nicht nur für Führungskräfte, sondern für alle MitarbeiterInnen, Angehörige
von Fach- und Interessensvertretungen, sowie Studierende, der Wirtschafts- und
Rechtswissenschaften sowie der Psychologie.
Vorgeschlagen von Brigitte Ecker
[Profil]
veröffentlicht am 13. Juni 2015 2015-06-13 18:23:14