Volker Zastrows Buch: "Die Vier" behandelt ausführlich die Motive der
vier Personen, die in Hessen sich weigerten, Andrea Ypsilanti zur
Ministerpräsidentin zu wählen. Egal wie man politisch steht - in Hessen
dürfte das Buch zu den meistgelesensten diese Woche gehören - bietet es einen
Einblick in die Parteistrukturen der SPD und die Motive der Abweichler. Es
stellt sich heraus, dass Dagmar Metzger und Silke Tesch aus grundsätzlichen
Erwägungen (Ablehnung der Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei bzw.
Wortbruch gegenüber dem Wähler) Frau Ypsilanti in der gegebenen Konstellation
(Minderheitsregierung aus SPD und Grünen mit Unterstützung der Linkspartei)
ihre Stimme verweigerten, während Walter und Carmen Everts Frau Ypsilanti sogar
im Sommer - nachdem ein Antrag auf Aufhebung der Studiengebühren wegen eines
Formfehlers von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nicht unterschrieben worden
war - zur Bildung einer solchen Regierung geraten hatten. Dazu gäbe es keine
Alternative. Erst als sich Frau Ypsilanti weigerte, ihrem langjährigen
Partei-Rivalen Jürgen Walter das Wirtschaftsministerium - und damit die
Zuständigkeit für den Frankfurter Flughafen, für den Walter als
Ausbaubefürworter unbedingt zuständig sein wollte, entschlossen sich diese
beiden, Frau Ypsilanti zu stürzen und gingen an die Öffentlichkeit.
Das Buch besticht durch viele Detailinformationen, Einblicke in die politische
Struktur der SPD und in die Motive der Abweichler. Leider fehlt vollkommen - und
dies würde ja zu einer seriösen politischen Analyse dazugehören - die saubere
Darstellung der Motive der "Gegenseite". Frau Ypsilanti
"Machtgier" zu unterstellen, ist leicht. Das Problem liegt aber
tiefer: auf der einen Seite ist der Abgeordnete nur seinem Gewissen und nichts
anderem verpflichtet. Der Abgeordnete gehört dem Parlament, also einem
Staatsorgan und keinem "Parteiorgan" an und kann für seine
Entscheidungen von der Partei nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Dies ist
die Position, die die "Vier", der SPD-Bundesvorsitzende Müntefering
und die anderen Parteien einnahmen. Die Argumentationsweise von Ypsilanti wird
aber nicht sauber dargestellt: wie soll eine Partei ihre Ziele - und dazu
gehört legitimerweise der Erwerb von Macht zu deren Durchsetzung - durchsetzen,
wenn die Wahl der eigenen Spitzenkandidatin zur "Gewissensfrage" wird
und wenn vier Leute ihren Willen gegen den einer Parteitagsmehrheit von rund 95%
durchsetzen? Wenn dies politisch legitimiert wird - so Ypsilanti - kann man eine
Partei und den Willen der Mehrheit der Mitglieder nicht mehr durchsetzen.
Man mag diese Argumentationslinie von Frau Ypsilanti nicht teilen. Ich hätte
aber erwartet, dass diese Argumentation in dem Buch zumindest ansatzweise
deutlich gemacht wird. Wider Erwarten hat der Kommentator der FAZ keine
"Heldengeschichte" geschrieben, sondern entdeckt, dass die Darstellung
der SPD, die vier "Abweichler" hätten nicht unter enormen Druck
gestanden, zumindest in Bezug auf das Verhalten von Jürgen Walter und Carmen
Everts zutreffend war - nicht jedoch in Bezug auf Dagmar Metzger. Es ist
beschämend, nachzulesen, mit welchen Mitteln diese Frau für ihre Meinung einem
Psychoterror durch die Parteigremien ausgesetzt worden war. Das Wort
"Kaderpartei", welches Volker Zastrow hier verwendet, trifft leider
den Kern der Sache. Zur politischen Kultur demokratischer Parteien sollte ein
solcher Umgang nicht gehören. Auch die Tatsache, wie die Listenaufstellung bei
der hessischen SPD vor sich gegangen ist - indem bei der vergangenen
Landtagswahl der "rechte" Flügel einfach keine aussichtsreichen
Listenplätze bekam und die meisten dieser Abgeordneten nur über Direktmandate,
also die meisten Erststimmen, in den Landtag einzogen (dies gilt für Frau
Metzger, Frau Everts und Frau Tesch) macht mich sehr nachdenklich und lässt
mich mehr und mehr dafür plädieren, Listenwahl zugunsten von Direktmandaten
abzuschaffen bzw. die Anzahl der Listenplätze im Parlament zu reduzieren.
Fazit
Wie man dazu auch immer stehen mag: Volker Zastrow hat ein nachdenkliches, gut
recherchiertes, wenn auch nicht "ausgewogenes" Buch vorlegegt, welches
im Ergebnis - dass zwei der vier Abweichler offenbar das Mittel der Intrige - so
der Untertitel seines Buches - angewandt haben, auch den Autor überrascht haben
dürfte. In jedem Fall für jeden politisch Interessierten lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 15. August 2009 2009-08-15 11:57:45