Wer Adam Danowskis reduziertem Lebenstempo folgen will, sollte zunächst einen
Gang herunterschalten. Der hochsensible und wenig belastbar wirkende Ermittler
der Mordbereitschaft innerhalb der Hamburger Kripo ist seit seinem Abenteuer auf
dem Kreuzfahrtschiff im Hamburger Hafen in
Treibland noch immer in
therapeutischer Behandlung. Mit seinem Kollegen Finzi ging es in der
Zwischenzeit sogar so weit bergab, dass er im Pflegeheim untergebracht werden
musste. Irgendetwas gibt es für Adam immer zu versieben. Sein dringendster
Wunsch, er möchte von Frau, Kindern und Kollegen am liebsten in Ruhe gelassen
werden. Adams Situation am Arbeitsplatz ist kritisch, seine Kollegen fühlen
sich durch seine Hypersensibilität belastet. Im Zuge der bevorstehenden
Pensionierung von Adams Chefin stehen der Abteilung grundlegende Veränderungen
bevor. Doch selbst wenn Adam beruflich kürzer treten und seine Frau Karriere
machen würde, verringerte das die Summe seiner Belastungen in Beruf und Familie
nicht.
Adams ermittelt aktuell im Mord am Fahrer eines Q7 mitten im Verkehr des
Hamburger Elbtunnels. Da auf keiner Überwachungsaufnahme ein Verdächtiger zu
erkennen ist, muss der Täter mit dem Tunnelsystem bestens vertraut sein und
sich zu Fuß vom Tatort entfernt haben. Wer würde einen vierzigjährigen
hilfsbereiten Bilderbuchnachbarn wie Oliver Wiebusch erschießen? Und was will
ein Täter vermitteln, der seine Munition signiert? Ein Tatmotiv ist für die
Ermittler lange nicht zu erkennen. Das emotionsbesetzte Thema Tunnel führt Adam
und seine Kollegin Meta bald zu einer virtuell vernetzten Clique, die
brachliegende Gebäude und Bunker sammelt, die "Lost Places" der
Zivilisation. Wenn jeder der Erste und Einzige sein will, kann das Urban
Exploring der Randgebiete zu einer äußerst heiklen Konkurrenzsituation
führen. Raether und Kollegen geraten mit ihren Ermittlungen schon bald an den
Punkt, an dem sie sich selbstkritisch fragen müssten, ob dieser Fall sich nicht
als eine Nummer zu groß für sie entpuppen wird.
In "Blutapfel" begibt Till Raether sich in die Bunker und Tunnel der
Hansestadt, ein zwar nicht neues, aber noch unverbrauchtes Szenario. Der
titelgebende Blutapfel als Zierfrucht steht augenfällig für den Kontrast
zwischen Schein und Sein. Der Autor zeichnet ein fein beobachtetes Portrait
einer Siedlung am Hamburger Stadtrand und wartet u. a. mit der Lebensweisheit
des Brigitte-Redakteurs auf - unordentliche Zeugen sind immer interessant. Dabei
unterhält Raether seine Leser in origineller, zu Adams reduziertem Temperament
passender Sprache. Die Haupt- und Nebenfiguren sind sehr differenziert und
liebevoll gezeichnet. Eine auffallend unauffällige Person aus Raethers ersten
Krimi zieht noch immer ihre Fäden, und als Leser fragt man sich, was Tracey
Harris ausgerechnet in Hamburg zu suchen hat, eine amerikanische Agentin mit
Sprachkenntnissen von allen Konfliktherden dieser Welt. Leslies Wünschen und
Ansichten als berufstätige Mutter kann man ausgiebig folgen oder beobachten,
wie Adams Kollegin Meta ihm mit ihrem Interesse an seinen Problemen peinlich
nahekommt. Die Zusammenarbeit der beiden wenig belastbaren Ermittler Adam und
Finzi führt in der Summe zu bemerkenswerten Ergebnissen.
Fazit
Ein verschachtelter Plot, angesiedelt an den "Lost Places" Hamburgs,
mit vom Leben deutlich belasteten Figuren wartet mit einigen Überraschungen
auf. Volle Punktzahl!
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 30. Mai 2015 2015-05-30 12:29:23